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Wells, ich will dich nicht töten

Wells, ich will dich nicht töten

Titel: Wells, ich will dich nicht töten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Wells
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Tage vorher noch nicht gehabt hatte. Dieses Mal waren durchaus Kampfspuren vorhanden.
    Wenigstens hast du dich gewehrt, Marci.
    Ich zog mich einen weiteren Schritt zurück, bis ich im Flur stand, und betrachtete schweigend den Tatort. Ich fühlte mich wie ein Stein, kalt und hart. War ich schockiert? Sollte ich erschüttert sein? Auf Blut oder Tod hatte ich noch nie besonders empfindlich reagiert, aber … so etwas hatte ich noch nie empfunden. Vielleicht war ich nur müde. Oder wütend. Aber das war es nicht. Ich fühlte mich ausgelaugt und leer wie seit Langem nicht mehr. Wie eine Statue stand ich da, zur Salzsäule erstarrt. Ich war ein Stück der Wand, ein Teil der Landschaft, ein Klumpen Erde. Ich war tot. Ich war nichts.
    »Es«, sagte ich leise. Das Ding auf dem Boden war nicht mehr Marci. Marci war voller Leben und Energie gewesen. Ein Wirbelwind aus Aktion, Worten und Licht. Ein Lächeln und ein Scherz, eine wichtige Einsicht oder ein genialer Geistesblitz. Das Ding auf dem Boden … ein Haufen Haut und Haare. Ein leerer Körper, in Kleidung gehüllt, die niemand mehr tragen würde. Den Teil von ihr, der Marci gewesen war, gab es nicht mehr, es blieben nur noch Tod und Schweigen.
    Auf einmal legte mir jemand eine Hand auf die Schulter. Officer Jensen.
    »Sie sind unterwegs.«
    »Sind Sie es?«, fragte ich.
    »Was?«
    Ich wandte mich zu ihm um und entzog mich der Hand. »Sagen Sie es mir geradeheraus – sind Sie Niemand? Wenn Sie es sind, dann bringen wir es gleich hier an Ort und Stelle zu Ende.«
    »He.« Wieder griff er nach meiner Schulter. »Beruhige dich, John. Ich weiß, wie schwer es ist, aber du musst dich beruhigen. Wir können darüber reden …«
    »Ich will nicht darüber reden, ich will es zu Ende bringen. Sagen Sie es mir, denn ich will keine Spielchen mehr treiben: Sind Sie Niemand?«
    »Ich verstehe nicht, was du meinst. Komm mit, John, wir setzen uns hin.«
    »Ich verstehe auch nichts mehr.« Ich starrte ihn an, musterte ihn, beobachtete das Gesicht, ob ich irgendetwas bemerkte, irgendeine Reaktion, die mir verriet, was ich wissen musste. »Wenn Sie es sind, können Sie es mir auch einfach sagen. Sie können es zugeben, weil ich es sowieso schon weiß. Ich weiß alles.« Er schwieg. »Sagen Sie es mir, verdammt!«
    »Ruhig.« Er hob auch die zweite Hand. »Ruhig durchatmen.« Seine Augen waren weit geöffnet, die Lippen eine schmale Linie, die Mundwinkel leicht nach unten gezogen. Sorge, Kummer, Trauer. Völlig normale Reaktionen eines normalen Menschen. Er hatte keine Ahnung, was ich meinte. Er war kein Dämon. Ich holte tief Luft, und er nickte und beobachtete mich genau. »Was weißt du schon? Was weißt du über Marci?«
    »Über Marci?« Ich betrachtete das Ding in der Ecke, das wie Marci aussah, klein und gebrochen. Wie war es zerbrochen? Wo war der Angreifer? Und wie konnte ich ihn meinerseits zerbrechen? »Ich weiß rein gar nichts, aber ich finde es heraus.«
     
    Ich raste nach Hause, bremste an den Kreuzungen kaum ab und bog schleudernd in unsere Einfahrt ein. Beinahe hätte ich das Haus gerammt. Auf dem Parkplatz am Hintereingang hielt ich mit quietschenden Reifen an. Dann sprang ich aus dem Auto, ohne die Tür zu schließen, stieß den Schlüssel ins Schloss und riss die Hintertür des Einbalsamierungsraums auf. Mom und Margaret erschraken, als die Tür aufflog, die Zwillinge mit dem blauen Mundschutz und den Schürzen. Sie standen vor Rachel wie zwei Mädchen, die mit einer Puppe spielten.
    »Raus«, sagte Mom knapp. »Bei Mädchen hilfst du uns nicht.« Ich hörte nicht auf sie, sondern trat ein und schloss hinter mir ab.
    Margaret schüttelte den Kopf. »Sie hat Nein gesagt, John. Wir haben doch schon darüber gesprochen.« Ich ging schnurstracks zum Behandlungstisch und schnappte mir ein Skalpell.
    »John«, sagte Mom. »Ich habe gerade gesagt …«
    »Halt den Mund.«
    »John!«
    »Halt den Mund!«, schrie ich. Und dann, etwas leiser: »Marci ist tot.«
    Sprachlos standen die beiden da.
    »Marci ist tot«, wiederholte ich etwas beherrschter, »und wer immer Rachel umgebracht hat, hat Marci auf die gleiche Weise getötet. Ihr könnt meinetwegen brüllen und kreischen, so laut ihr wollt, von mir aus ruft die Polizei, aber diese Leiche birgt Antworten, und die bekomme ich heraus.« Ich starrte die beiden trotzig an, und sie wagten mir nicht zu widersprechen. Mom weinte sogar.
    »Das mit Marci haben wir noch nicht gehört.« Margaret kam einen Schritt auf mich zu. »Es

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