Welt im Fels
war Chimal, was die Priester auch sagen mochten. Was sollte das alles bedeuten? Und dann das Gewitter. Er verstand die Welt nicht mehr. Ein frischer grüner Grashalm wuchs zu seinen Füßen. Er pflückte ihn ab und kaute darauf herum. Er würde bald zu den Priestern zurückkehren müssen, um ihnen zu berichten, was er gesehen hatte.
Er stand auf und reckte seine müden Beinmuskeln, und dabei hörte er ein fernes Grollen. Was war das? Zu Tode erschrocken schlug er die Arme eng um sich und konnte sich nicht von der Stelle rühren. Dann sah er das Zittern der Wellen auf der Wasserfläche vor sich. Wieder hörte er ein Grollen, lauter diesmal. Der Boden bewegte sich unter seinen Füßen, als ob die ganze Welt erzitterte.
Dann geriet unter Knirschen und Poltern die ganze Steinbarriere, die die Talmündung versperrte, ins Rutschen. Ein großer Block nach dem anderen verschwand nach unten, als verschlucke sie die Erde. Die Steinbrocken stürzten, rollten übereinander, zerbrachen und rieben sich knirschend aneinander, bis sie alle in der Tiefe verschwunden waren. Während sich der Talausgang öffnete, begann das Wasser abzulaufen. Es stürzte gurgelnd in tausend kleinen Katarakten hinab und verschwand durch die Öffnung, wo eben noch die Felsbarriere gewesen war, die es so lange zurückgedämmt hatte. Schnell verlief sich das Wasser, bis nur noch eine braune Schlammfläche zu sehen war, auf der unzählige silberne Fischleiber zappelten. Tümpel und Sumpf waren innerhalb weniger Minuten verschwunden. Atototl breitete seine Arme gegen die Felswände aus, die jetzt keine Barriere mehr waren, sondern ein Tor bildeten, hinter dem etwas Goldenes und Prächtiges lag, das mit Licht und marschierenden Gestalten angefüllt war. Wunder über Wunder.
»Es ist der Tag der Erlösung«, sagte er schaudernd, aber nicht mehr ängstlich. »Und all die merkwürdigen Dinge gingen ihm voraus. Wir sind frei. Wir werden endlich das Tal verlassen. Daß ich das noch erleben darf.«
Zögernd setzte er einen Fuß auf den weichen Schlamm.
Das Donnern der Explosionen in der Halle war ohrenbetäubend. Als sie begannen, ließ der Observator los und hockte in panischer Angst auf dem Boden. Chimal hielt sich an dem großen Schalter fest, als der Boden schwankte und die Felsblöcke in Bewegung gerieten. Dies war die Erklärung für die große Höhle unter der Halle. Alles war genau geplant. Die Barriere, die das Tal versperrte, mußte auf einer Steinplatte genau über dem großen Hohlraum stehen. Jetzt wurden Stützen weggesprengt, und die Decke stürzte ein. Polternd stürzten die letzten Blöcke hinunter und füllten die Höhle darunter aus, so daß die Oberkanten eine holprige Straße aus dem Tal bildeten. Sonnenlicht strömte durch die Öffnung herein und fiel zum erstenmal auf die Gemälde.
Draußen sah Chimal das Tal mit den Bergen dahinter, und er wußte, daß er diesmal nicht gescheitert war.
Diese Tat konnten sie nicht mehr rückgängig machen, die Barriere war weg.
Sein Volk war frei.
»Steh auf!« sagte er zu dem Observator, der vor ihm lag und sich furchtsam an die Wand drückte. »Steh auf und sieh dir das an und versuch zu begreifen! Auch dein Volk ist frei.«
Der Beginn
Ah tlamiz noxochiuh ah tlamiz
nocuic
In noconehua
Xexelihui ya moyahua
Meine Blumen sterben nicht, meine
Lieder werden doch gehört
Sie breiten sich aus
In die Unendlichkeit
Chimal zog sich durch den Rotationsachsentunnel und stöhnte, als er mit der linken Schulter an eine der Stangen stieß und ein stechender Schmerz durch seinen Arm fuhr. Er konnte den Arm immer weniger gebrauchen, und die Schmerzen wurden immer schlimmer. Er würde sich so bald wie möglich noch einmal den chirurgischen Maschinen anvertrauen müssen – oder sich das verdammte Ding abnehmen lassen, wenn sie nichts mehr damit anfangen konnten. Wenn sie es gleich richtig gemacht hätten, wäre das nicht nötig gewesen. Natürlich hätte er sich schonen müssen, aber er hatte keine Zeit dafür gehabt.
Der Lift brachte ihn zurück zu dem Gebiet der Schwerkraft, und Matlal öffnete ihm die Tür.
»Wir sind auf Kurs«, sagte Chimal dem Wächter und gab ihm die Bücher und Aufzeichnungen zu tragen. »Die Bahnänderung verläuft so, wie der Computer es vorhergesagt hat. Wir haben gewendet und beschreiben einen großen Bogen im Weltraum. Das wird Jahre dauern, bis wir die errechnete Geschwindigkeit haben, aber wir sind jetzt auf dem Weg zum Proxima
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