WELTEN-NEBEL
Schriften in die Sprache Zyn zu übersetzen. Sie wählte eine Nachfolgerin, die das Wissen nach ihrem Tode hüten und mehren sollte. So begründete die Prinzessin die Tradition der Bewahrerinnen. Alle, die ihr nachfolgten, waren von den Göttern auserwählt und mit einem besonders langen Leben und Gesundheit sowie einem wachen Geist gesegnet. Viele hatten auch die Gabe des Gedankensehens.“
Die Vielzahl der Informationen war so überwältigend, dass sie ihren Geist betäubte. Sie würde Zeit brauchen, um alles zu verarbeiten. Erst dann könnte sie Wilka weitere Fragen stellen. Während ihre Lehrerin sprach, hatte sie sich auf den Boden gesetzt, nun lehnte sie mit geschlossenen Augen an einem der Regale und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen.
Sie wusste, Ewen würde Zeit brauchen, um die Neuigkeiten zu verarbeiten. Sie würde noch früh genug beginnen, Fragen zu stellen. Fürs Erste ließ Wilka ihr die Zeit, die sie zum Nachdenken brauchte. Sie begann, die wichtigsten Bücher über die Zeit vor der Zeitenwende herauszusuchen. Sie würde sie mit ins Haus nehmen, damit Ewen sie im Laufe der nächsten Monde studieren konnte.
Gerne hätte sie gewusst, was nach diesen Enthüllungen in Ewens Kopf vor sich ging. Daher streckte sie vorsichtig ihre Geist aus und versuchte ihre Gedanken zu sehen. Doch der Versuch misslang. Sie stieß auf die Barriere, die Ewen um ihren Geist errichtet hatte. Sie hatte damit gerechnet und war daher nicht erstaunt. Es beruhigte sie, dass Ewens Schutz selbst in emotional aufwühlenden Momenten nicht zusammenbrach und stark genug war, um aktive Versuche des Eindringens abzuwehren. Es war eine Sache, seine eigenen Schwingungen des Geistes zu unterdrücken, jedoch eine andere, einen fremden Geist abzuwehren. Eine starke Barriere vermochte beides und Wilka war froh, dass Ewen über einen solchen Schutz verfügte.
Wilkas Geist empfing eine Nachricht von Ewen: 'Bist du das, Wilka? Hast du versucht, meine Gedanken zu lesen?'
Sie hatte nicht geglaubt, dass Ewen ihren Versuch wahrnehmen konnte. Es war wirklich erstaunlich, was das Mädchen alles vermochte. Sie sandte ihr eine Antwort: 'Ja, Ewen. Ich wollte nicht stören, sondern nur deine Barriere testen. Wirklich sehr gut.'
Sie sah, wie ihre Schülerin nickte und wieder in Grübeleien versank. Dass sie sogar in der Lage war, Angriffe auf ihre Gedanken zu erkennen, obgleich sie nie ein Training auf diesem Gebiet erhalten hatte, zeigte ein weiteres Mal, wie stark ihre Gabe war. Gerne hätte Wilka die Stärke von Ewens Schutz noch weiter auf die Probe gestellt, doch dazu reichte ihre eigene Begabung nicht aus. Dennoch beschloss sie, Ewen weiter in der Abwehr fremder Gedankenseher zu unterrichten. Es war keineswegs ausgeschlossen, dass sie im Laufe ihres Lebens auf welche traf, die über größere Fähigkeiten verfügten als Wilka. Außerdem war das Üben von Schutztechniken auch eine gute Möglichkeit, sie auf das Sehen fremder Gedanken vorzubereiten. Darüber hinaus war es ein Anhaltspunkt für die Stärke der Gabe.
Vielleicht wäre Ewen sogar in der Lage, eine Technik zu erlernen, von der Wilka in einem der Bücher gelesen hatte: eine doppelte Barriere, die jemandem, der versuchte, die Gedanken zu sehen, nur die sehen ließ, die man ihm zu sehen gestattete, die anderen aber verbarg. Laut der Aufzeichnungen war dies bis jetzt nur den zwei stärksten Gedankensehern gelungen und dies lag schon mehr als zwei Jahrtausende zurück.
Jahr 3634
Hort der Bewahrerin, Martul
Der Winter war vergangen, ohne dass sie es bewusst wahrgenommen hatte. Intensiv hatte sie die Bücher studiert, die Wilka mit aus der Höhle genommen hatte. Bald hatte sie einen guten Überblick über das sogenannte Goldene Zeitalter und den Großen Krieg gewonnen, doch die Neugier hatte sie weiterlesen lassen. Auch hatte sie Wilka immer wieder Fragen gestellt und missverständliche Textstellen mit ihr diskutiert. Mehrfach waren sie zusammen in die Höhle gegangen, um neue Bücher zu holen. Das dort versammelte Wissen war scheinbar unerschöpflich und inzwischen hatte sie erkannt, dass für ein umfassendes Studium selbst das lange Leben einer Bewahrerin zu kurz war. Auch würde Wilka sicher bald ein neues Thema für den Unterricht auswählen. Die Bewahrerin hatte schon verschiedentlich durchblicken lassen, dass es noch andere interessante Themen zu behandeln gab.
Neben ihren Studien zu Martuls Geschichte hatte sie wieder Unterricht in der Beherrschung des Gedankensehens
Weitere Kostenlose Bücher