WELTEN-NEBEL
nach dem Wasser, danach, seine seltsame Gabe zu nutzen, die es ihm ermöglichte, unter Wasser zu atmen. Bisweilen gab er diesem Sehnen nach, ging eine Runde im Galsee tauchen. Dabei war er jedes Mal aufs Neue erstaunt über die Leichtigkeit, mit der seine Lungen die notwendige Atemluft aus dem Wasser bezogen.
Bisher hatte er niemanden von seiner besonderen Fähigkeit berichtet, er hatte Angst, dass man ihn für verrückt hielte. Doch im Geheimen hatte er Nachforschungen angestellt, hatte inzwischen die gesamte Bibliothek Bellans gelesen. Doch nirgends hatte er Aufzeichnungen gefunden, die von einem ähnlichen Phänomen berichteten. Sein Talent schien einzigartig zu sein. Das beunruhigte ihn fast noch mehr als der Traum. Warum konnte er etwas, was niemand sonst vermochte? Er hatte die Erfahrung gemacht, dass selten etwas ohne Grund geschah. Warum also hatte ihm das Schicksal eine solche Gabe verliehen? Wohl kaum allein zu dem Zweck, dass er den Rettungsversuch überlebte? Vielleicht war es ihm vorherbestimmt, die Ruinen zu entdecken und zu erkunden. Dieser Gedanke begann, sich in seinem Kopf einzunisten und ließ ihn irgendwann nicht mehr los. Einen Versuch wäre es wohl wert, möglicherweise warteten unermessliche Schätze darauf, geborgen zu werden. Das würde ihn auch für immer von der Notwendigkeit seiner Betrügereien entbinden.
Wieder würde sie einen Nachmittag damit verbringen, Pinsel zu reinigen und Malgründe vorzubereiten. Aber es war nun einmal Bestandteil ihrer Arbeit, es machte ihr nichts aus. Obgleich sie noch ganz am Anfang der Ausbildung stand, wusste sie, dass der Beruf der Porträtmalerin der richtige für sie war. Es fiel ihr leicht, die Zeichen- und Malübungen auszuführen, die Atella und Tew ihr auftrugen. Die Ergebnisse waren so gut, dass ihre Lehrer sie immer wieder lobten, sowohl für ihre sichere Strichführung als auch für ihre ausgeprägte Beobachtungsgabe.
Rihnall betrat die Werkstatt. Offensichtlich hatte er sich wieder einmal angeboten, ihr zu helfen. Auch wenn sie seiner Hilfe nicht bedurfte, so wagte sie es nicht, ihn fortzuschicken. Er könnte dies als Ablehnung verstehen, auch wenn dies mitnichten als solche gemeint war. Sie mochte den jungen Mann, konnte ihn wirklich gut leiden, doch es fiel ihr schwer, dies auch zu zeigen. Sobald er den Raum betrat, fühlte sie sich gehemmt, wagte kaum, ein Wort zu sagen, aus Angst, etwas Dummes oder Unpassendes von sich zu geben.
Sie hatte viel über darüber nachgedacht, warum Rihnall diese Gefühle in ihr auslöste. Inzwischen wusste sie, wo der Grund für ihre Hemmungen lag: Sie wollte Rihnall gefallen, wollte, dass er einen guten Eindruck von ihr hatte. Anfangs hatte sie es als mädchenhafte Schwärmerei abgetan, doch inzwischen wusste sie, dass mehr dahinter steckte. Ihr lag wirklich etwas an ihm. Stets lauschte sie gespannt seinen Worten, und wenn sie sich unbeobachtet glaubte, ertappte sie sich selbst oft dabei, wie sie ihn beobachtete. Auch jetzt konnte sie es nicht lassen. Bewundernd nahm sie wahr, wie sich seine Muskeln unter dem Hemd abzeichneten, während er zwei Eimer Wasser hereintrug. Plötzlich trafen sich ihre Blicke und sie wendete schnell die Augen ab. Hoffentlich hatte er nicht gemerkt, wie sie ihn anstarrte. Sie wollte auf keinen Fall, dass er etwas von ihren Gefühlen bemerkte. Es schickte sich einfach nicht, dass eine Frau ihre Gefühle offen zeigte. Erst wenn der Mann sich erklärt hatte, war dies gestattet. Doch Süylin zweifelte daran, dass Rihnall ihr gegenüber mehr als freundschaftliche Gefühle hegte. Sicher, er war stets höflich und zuvorkommend, doch nie hatte sie mehr gespürt als dies. Sicher war sie sich jedoch nicht, es mangelte ihr definitiv an Erfahrung auf diesem Gebiet. Das, was sie im Palast über den Umgang mit Männern gelernt hatte, war hier, im wahren Leben, nur bedingt einsetzbar. Gerne hätte sie mit jemandem über ihre Gefühle gesprochen, einmal mehr fehlte ihr Ellina, die ihr stets Vertraute und enge Freundin gewesen war.
Mond 12 Jahr 3687
Sommer
Bellan, Elung
Der letzte Mond des J ahres brach an und mit ihm kam die Hitze. Viele Menschen verließen die Stadt, um einige Wochen direkt an der Küste des Sees oder in den Wäldern zu verbringen. Wer immer es sich leisten konnte, ließ in dieser Jahreszeit die Arbeit ruhen. Bellan war wie ausgestorben. Tew und Atella aber wollten ihre Arbeit fortsetzen. Es gab einige Aufträge abzuschließen. Und so stellte sich auch Süylin darauf
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