WELTEN-NEBEL
Feststellung, keine Frage. Dennoch nickte sie. In ihrem Blick lag die unausgesprochene Frage nach dem Wie.
„ Ich kann dir nicht erklären, warum ich es vermag. Ich wusste es selbst nicht, bis zu dem Tag, an dem ich in den See sprang, um dich zu retten. Ich bin mir des Umstands bewusst, dass es sich ganz und gar verrückt anhört, doch aus irgendeinem Grund kann ich unter Wasser atmen.“
Sie sah ihn noch immer mit großen Augen an. Was sollte er ihr noch sagen? Er hatte doch selbst keine Erklärung dafür. Er erzählte ihr von den Ruinen, von seinen Träumen. Sie lauschte ohne jede Regung. Erst als er ihr sagte, dass er noch einmal zu den Ruinen zurückkehren wollte, kam Leben in ihren Körper.
„ Warum?“
„ Ich kann es selbst nicht erklären, doch ich glaube, dass es das ist, was das Schicksal für mich vorgesehen hat. Die Gabe des Wasseratmens ist mir nicht umsonst gegeben wurden.“
„ Was hoffst du, in den Ruinen zu finden?“
„ Ich weiß es nicht. Schätze? Alte Inschriften? Vielleicht einen Hinweis darauf, wieso es überhaupt Ruinen auf dem Grund eines Sees gibt. Eigentlich kann ich mein Verlangen nach Aufklärung des Rätsels nicht erklären. Doch mein Sehnen danach nimmt Tag für Tag zu.“
„ Also wirst du ihm nachgeben?“
„ Ja.“ Er hoffte, sie würde ihn bitten, bei ihr zu bleiben. Ihre Worte wären das Einzige gewesen, was ihn seinen Entschluss hätte überdenken lassen. Sie aber bleib stumm.
Was er ihr erzählte, klang zu unglaubwürdig, um erfunden zu sein. Sie hegte keine Zweifel daran, dass er die Wahrheit sprach. Sie hatte gesehen, wie lange er unter Wasser bleiben konnte, er musste über eine besondere Gabe verfügen. Auch war sie sich im Klaren darüber, dass er bald fortgehen würde. Sie wagte nicht, ihn nach der Möglichkeit einer Wiederkehr zu fragen. Noch vor einem Mond hätte es ihr wahrscheinlich nichts ausgemacht, wenn er fortgegangen wäre, nun aber bereitete ihr der Gedanke daran Unwohlsein. Doch tief in ihrem Inneren wusste sie, dass er gehen musste. Es war ganz so, wie er gesagt hatte, in den Ruinen lag wohl sein Schicksal. Daher nützte es wenig, ihn aufhalten zu wollen. Vielmehr würde sie die letzten Tage bis zu seiner Abreise genießen und dann auf seine Rückkehr warten. Vielleicht waren ja nicht nur die Ruinen Bestandteil seines Schicksals, sondern auch sie.
Seit ihrem Gespräch im Morgengrauen vor drei Tagen hatte Süylin sehr nachdenklich gewirkt. Heute war ihr letzter Abend in dem Dorf, daher wollte er die Gelegenheit nutzen, noch einmal mit ihr zu sprechen. Er wollte wissen, was sie fühlte. Auch er hatte sich viele Gedanken gemacht und erkannt, dass er unter allen Umständen zu den Ruinen reisen musste, egal wie Süylin dazu stand. Dennoch musste er wissen, was sie für ihn empfand. Würde sie auf seine Rückkehr warten? Er hoffte es.
Er lud sie zu einem Spaziergang ein. Schnell kam die Sprache auf die bevorstehende Rückkehr nach Bellan. Süylin fragte ihn ganz direkt, was er vorhatte. „Ich werde dich zurück nach Bellan bringen und dann meine Abreise vorbereiten. Das wird sicher eine Weile dauern, schließlich muss ich ein Boot finden. Ich kann ja schlecht ein weiteres Mal von einem Passagierschiff springen.“
Diese Bemerkung entlockte ihr ein Lächeln, doch schnell wurde sie wieder ernst. Er sah ihr an, dass ihr der Gedanke an einen Abschied nicht behagte. „Willst du das wirklich tun?“
„ Ich muss. Ich kann einfach nicht anders. Aber keine Sorge, ich werde zurückkommen.“
Ihre Reaktion kam etwas zu schnell, um der Wahrheit zu entsprechen: „Du brauchst dir nicht einbilden, dass ich mir Sorgen um dich mache. Das tue ich nämlich nicht.“
Er erlag der Versuchung, sie zu necken. Spielerisch schubste er sie und sagte: „Leugnen ist zwecklos. Ich weiß genau, du möchtest, dass ich für immer bei dir bleibe.“
Er wusste nicht, welche Reaktion er erwartet hatte, doch gewiss nicht diese: Sie wand sich ihm zu, griff nach seinen Händen und blickte zu ihm auf. Er erwiderte den Blick ihrer grauen Augen und wartete darauf, dass sie etwas sagte. Sie öffnete den Mund, doch dann schien sie der Mut zu verlassen. Stattdessen traten Tränen in ihre Augen. Wohl um dies zu verbergen, drehte sie sich weg und brachte mit einigen schnellen Schritten etwas Abstand zwischen sie. Er akzeptierte ihren Wunsch nach Distanz, aus Angst, sie würde ansonsten vollends davonlaufen. Daher hielt er sich einige Schritte hinter ihr, folgte ihr
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