WELTEN-NEBEL
schweigend zum Gasthaus zurück.
Sie kannte sich selbst nicht mehr. Was hatte sie so die Beherrschung verlieren lassen? Dabei hätte sie einfach nur sagen müssen, dass sie ihn als Freund schätzte und es bedauerte, eine Zeit lang ohne ihn sein zu müssen. Stattdessen waren ihr die Tränen gekommen und sie war davongelaufen. Was er nun wohl von ihr dachte? Sicher hielt er sie für ein dummes kleines Mädchen, das hoffnungslos in ihn verliebt war. Wenn es je eine Chance gegeben hatte, dass auch er sich in sie verliebte, dann hatte sie diese nun ein für alle Mal zunichtegemacht. Aber das war nun auch egal, er würde ohnehin gehen, das hatte er mehr als deutlich gemacht. Eine gemeinsame Zukunft würde es nicht geben. Im Gegensatz zu ihm hatte sie das Gefühl, dass seine Reise eine Reise ohne Wiederkehr werden würde. Es war also am besten, Rihnall aus ihrem Leben zu streichen. Bis er wirklich abreiste, würde sie sich ihm gegenüber so distanziert wie möglich verhalten.
Mond 1 Jahr 3688
Sommer
Bellan, Elung
Wie schwer dieser V orsatz umzusetzen war, wurde ihr schon am nächsten Morgen bewusst. Rihnall gab sich freundlich und charmant wie immer, half ihr mit ihrem Gepäck und bemühte sich auch sonst, ihr den eintägigen Fußmarsch nach Bellan so angenehm wie möglich zu machen. Doch ihr Schweigen lastete auf diesem eigentlich sonnigen Tag. Sie war froh, als sie am Abend endlich wieder an Atellas Küchentisch saß, endlich nicht mehr allein mit Rihnall.
Kurz vor ihrer Ankunft hatte Rihnall sie gebeten, kein Wort über seine Pläne zu verlieren und so musste sie so tun, als habe sich nichts von Bedeutung ereignet. Scheinbar munter erzählte sie von ihrer Zeit in dem Dorf. Auch Rihnall gab sich unbeschwert.
Doch entweder waren sie schlechtere Schauspieler, als sie dachten, oder es gab etwas anderes, was Atella beunruhigte. Süylin entging nicht, dass ihre Lehrmeisterin kaum bei der Sache war. Sie wirkte nervös und angespannt, so kannte sie sie gar nicht. Es verlangte Süylin, den Grund dafür zu erfahren, doch sie wagte nicht, danach zu fragen.
Sie beendeten das Abendessen. Er wollte sich so schnell wie möglich zurückziehen, um Süylin von seiner Anwesenheit zu befreien, die ihr nur noch lästig zu sein schien. Er war schon fast zur Tür hinaus, als Tew ihn aufforderte, noch zu bleiben, es gäbe etwas zu besprechen. Also setzte sich Rihnall wieder und wartete.
Es dauerte eine Weile, dann ergriff Atella das Wort: „Wir müssen uns bei euch beiden entschuldigen, denn ohne es zu wollen, haben wir euch in eine unangenehme Situation gebracht.“
Was meinte sie nur? Unmöglich konnte sie um die Geschehnisse der letzten Tage wissen. Doch was war es dann? Ihrem Blick nach war Süylin ebenso ahnungslos wie er. Doch Atella fuhr auch schon fort: „Als wir euch beide zur Erholung in das Dorf schickten, haben wir nicht bedacht, was für einen Eindruck dies erwecken würde. Erst als die Nachbarn zu tuscheln anfingen, wurde unsere Unbedachtheit offenbar.“
Langsam ahnte er, worauf dies hinauslief. Gleich würde Atella auf Süylins Ruf zu sprechen kommen.
Atella sprach weiter: „Eure gemeinsame Reise hat wohl den Anschein erweckt, ihr würdet einander sehr nahe stehen, näher, als es schicklich ist.“
Ob Süylin verstand, was ihre Tante damit sagen wollte? Ja, sie hatte es begriffen. Sie fragte: „Willst du damit sagen, dass mein Ruf beschädigt wurde?“
Aber natürlich, warum hatte sie nicht selbst daran gedacht, schon vor der Reise? Wie hatte sie annehmen können, dass die Vorstellungen von Sitte und Anstand beim normalen Volk weniger ausgeprägt waren als in den wohlhabenden Schichten? Aber Tew und Atella hatten es ja auch nicht in Betracht gezogen.
Nicht auszudenken, was das für Konsequenzen haben konnte. Wenn das Gerücht über ihre angebliche Liebschaft mit Rihnall die Runde machte, würde sie ewig dem Spott ihrer Mitmenschen ausgesetzt sein. Einen respektablen Mann würde sie somit nie finden.
Ohne lange nachzudenken, war sie es, die die einzig mögliche Lösung vorschlug: „Nun, da der Schaden angerichtet ist, bleibt mir wohl nur, einer schnellen Heirat zuzustimmen.“
Tew nickte. „Es freut uns, dass du vernünftig genug bist, dies einzusehen. Ungern hätten wir diese Entscheidung gegen deinen Willen getroffen. Rihnall, ich hoffe, du siehst die Sache ebenso.“
Es war eine Falle gewesen. Tew und Atella hatten ganz genau gewusst, was sie taten, als sie ihn und Süylin
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