WELTEN-NEBEL
ein, ihre Tage in der stickigen Werkstatt zu verbringen. Daher war sie überrascht, als Atella ihr sagte, sie solle ein paar Sachen zusammenpacken. Die Tante hatte eine Absprache mit Rihnall getroffen. Die beiden jungen Leute sollten zusammen in einen nahegelegenen Küstenort reisen, um der Sommerhitze zu entfliehen. Als Süylin dies vernahm, begann ihr Herz zu rasen. Sie und er, allein? Das konnte doch nur schlimm enden. Doch wie sollte sie diesen Urlaub abwenden, ohne undankbar zu erscheinen? Vorsichtig versuchte sie Atella davon zu überzeugen, dass ihre Hilfe hier in der Werkstatt vonnöten war. Es war Tew, der abwinkte. Und so blieb ihr nichts anderes übrig, als sich in ihr Schicksal zu ergeben. Schon am nächsten Tag brach sie gemeinsam mit Rihnall auf.
Das Dorf war nur eine Tagesreise von Bellan entfernt. Es gab dort nicht mehr als einige Fischerhütten und ein Gasthaus. In eben jenem bezogen sie Quartier. Bei ihrer Ankunft hatte man sie zunächst für ein Paar gehalten, ein Missverständnis, das er Süylin zuliebe schnell aufgeklärt hatte. Sie hatte ausgesehen, als würde sie vor Scham gleich im Boden versinken und er wollte nicht, dass sie sich unwohl fühlte. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er die Wirtsleute gerne im Ungewissen gelassen und sich einen Spaß daraus gemacht, Süylins Mann zu mimen. Aber das wäre wohl zu viel für sie gewesen. Er konnte froh sein, dass sie überhaupt mit ihm gekommen war. Anfangs hatte es so ausgesehen, als würde sie sich mit aller Macht dagegen wehren. Glücklicherweise hatte sich ihr Onkel durchgesetzt und darauf bestanden. Rihnall wusste, dass dies wahrscheinlich seine letzte Chance war, endlich zu ihr durchzudringen. Wenn es jetzt nicht funktionierte, würde er es aufgeben. Er hatte schon entsprechende Pläne gemacht. Wenn sie ihn abwiese, würde er endlich zu den Ruinen reisen. Sein Verlangen danach war inzwischen fast übermächtig, nur Süylin hielt ihn noch hier.
Mond 1 Jahr 3688
Sommer
Dorf am Ufer des Galsees, Elung
Ihre Tage waren erfüllt von Sonnenschein. Inzwischen hatte sie sich an die relative Untätigkeit gewöhnt. Sie las und malte, ab und zu nahm sie ein erfrischendes Bad im See. Sogar Rihnalls Gegenwart ertrug sie immer besser. Irgendwie gelang es hier, ihre Bedenken beiseitezuschieben und sich ohne große Hemmungen mit ihm zu unterhalten. So manche Stunde hatten sie im Schatten gesessen, auf den See hinausgeschaut und sich über allerlei Nebensächliches unterhalten. Er war ein wirklich unterhaltsamer Begleiter, der ihre Gegenwart ehrlich zu schätzen schien. Zumindest hatte er schon verschiedentlich zum Ausdruck gebracht, wie froh er war, mit ihr hier zu sein. Zum ersten Mal hielt sie es für möglich, dass er mehr als Freundschaft für sie empfand. Die Hoffnung darauf versetzte sie in eine Hochstimmung, doch sie verbot sich allzu viel Euphorie. Sie traute ihrer eigenen Einschätzung nicht wirklich, glaubte, sie sei ein Produkt ihrer Hoffnungen.
Fast einen Mond waren sie nun schon hier, bald würden sie nach Bellan zurückkehren. Sie hoffte, die Leichtigkeit ihres Zusammensein dorthin mitnehmen zu können.
Wann immer sich die Gelegenheit ergab, stürzte er sich in das kühle Nass des Galsees. Dabei achtete er stets darauf, dass niemand seine langen Tauchgänge beobachtete. Häufig nutzte er daher die frühen Morgenstunden, wenn der Rest des Dorfes noch in tiefem Schlaf lag. So auch an diesem Morgen. Als er jedoch aus dem Wasser stieg, musste er feststellen, dass er nicht allein war. Am Ufer saß Süylin, unweit jener Stelle, an der er seine Kleidung abgelegt hatte. Sie schaute zu ihm hinüber. Wenn er nur wüsste, wie lange sie schon dort saß. Wenn es mehr als einige Augenblicke gewesen waren, so würde sie ihn nun sicher mit Fragen bestürmen. Ob er ihr die Wahrheit sagen sollte? Etwas unsicher ging er auf sie zu. Sie wendete den Blick ab. Erst war er verwirrt, dann fiel ihm ein, dass er nicht mehr als eine kurze Hose trug, die ob der Nässe eng an seinem Körper klebte. Wahrscheinlich war das kein Anblick, die er einer anständigen Frau zumuten konnte. Er beeilte sich, seine Kleider zu erreichen und überzustreifen. Erst dann setzte er sich neben sie.
Sie begrüßte ihn mit einem Nicken, dann schwiegen sie eine Weile. Er war sich sicher, sie hatte bemerkt, wie lange er unter Wasser gewesen war. Daher wartete er nicht länger auf ihre Fragen, sondern begann zu erzählen: „Du hast es gesehen.“ Dies war eine
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