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Welten - Roman

Titel: Welten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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dies den Wünschen der interessierten höheren Kreise entsprach, obwohl ich, wie ich wohl kaum betonen muss, einen derartigen Einsatz unserer Ressourcen persönlich missbillige.
    Betrüblicherweise lasen wir einen Monat später, dass unser Gefangener 47767, der ehemalige Polizeibeamte, der für viele von uns ein Held gewesen war, sich das Leben genommen hatte. Er hatte sich vor einen jener Lastwagen geworfen, die riesige Rollen Papier zu Zeitungsdruckereien befördern. Ein Kollege wies darauf hin, dass auch Selbstmord illegal war, was ich in diesem Fall als eine besonders traurige Ironie des Schicksals empfand.

VERSUCHSPERSON 7
    Nur ein Mensch war jemals wirklich nett zu ihr: eine von den Bürstendamen. Es gab mehrere Bürstendamen. Sie waren klein, dunkel und geduckt. Sie hatten Bürsten, die die Luft einsaugten oder den Staub am Boden schluckten. Und an den Lampen oben. Die Bürstendamen kamen nur nachts. Mit ihnen kam auch ein Mann, der größer war als sie und ihnen sagte, was sie tun sollten.
    Sie mochte die Bürstendamen, weil sie ihr nicht wehtaten. Sie ließen sie in Ruhe. Anfangs hatte sie Angst vor ihnen gehabt, weil alles, was ihr hier passierte, schmerzvoll oder verwirrend war, und die Damen gehörten offenbar dazu, und deswegen hatte sie Angst. Aber nach einer Weile
fürchtete sie sich nicht mehr und freute sich darauf, sie zu sehen, weil sie nicht wie die anderen waren.
    Die anderen taten ihr weh. Sie hatten Brettdinger und elektrische Dinger und Taschenlampen, mit denen sie ihr in die Augen leuchteten, und kleine, harte, schwere Dinger, in die sie sprachen. Und sie hatten diese Glasdinger mit Flüssigkeiten, die in ihren Körper drangen. Sie hießen Spritzen. Außerdem hatten sie Drähte, die sie an ihr festmachten. Viele Drähte. Auch ein paar Schläuche. Aber vor allem Drähte. Die Schläuche taten weher als die Drähte, aber auch die Drähte konnten brennen. Alle trugen weiße Mäntel oder hellblaue Uniformen. Der Schmerz kam normalerweise von dem Feuer in ihren Adern. Aber sie konnten ihr auch andere Schmerzen zufügen. Das kam ganz darauf an.
    Manche von den anderen trugen keine weißen Mäntel und hellblaue Uniformen, sondern waren gekleidet wie normale Leute. Sie saßen nur herum und starrten sie an. Sie glaubte, dass sie Sachen in ihrem Kopf machen konnten. Wenn sie versuchte, sich von hier wegzudenken - zu fliehen, wie sie es immer getan hatte, bevor sie sie hierhergebracht hatten -, schlossen die sitzenden Leute die Augen oder ballten die Fäuste oder lehnten sich plötzlich vor, und sie spürte sie im Kopf, spürte, wie sie sie wegzerrten von den Orten, wo sie vielleicht Sicherheit oder zumindest eine vorübergehende Linderung ihrer Schmerzen gefunden hätte.
    Selbst wenn sie wach war, hörte sie Stimmen und sah Geister. Wenn am Abend die Flüssigkeiten in ihren Körper drangen, schlief sie ein und hatte schlechte Träume. Am Anfang hatte sie kaum Zeit, die Bürstendamen zu beobachten oder mit ihnen zu reden, so schnell riss sie der Schlaf fort in das Reich, wo die Alpträume warteten. Da hatte sie noch geglaubt, dass die Bürstendamen zu ihren
bösen Träumen gehörten. Doch dann merkte sie, dass sie jeden Abend ein bisschen länger wach blieb, bevor sie einschlief.
    Oder vielleicht kamen die Bürstendamen auch früher - sie war sich nicht sicher.
    Manchmal kam nach den Abendflüssigkeiten einer der anderen, um nach ihr zu sehen. Dann stellte sie sich schlafend. Am nächsten Morgen, wenn sie sie wecken wollten, um sie zu waschen und füttern, bevor sie Sachen mit ihr machten, tat sie, als würde sie noch schlafen. Allmählich gaben sie jeden Abend vor dem Löschen der Lichter weniger Flüssigkeit in die Spritze. Am Abend stellte sie sich weiterhin schlafend, doch am Morgen wachte sie rechtzeitig auf. Damit schienen sie zufrieden. Und sie war glücklich, weil sie jetzt die Bürstendamen beobachten konnte.
    Sie wollte mit ihnen reden, aber sie achteten nicht auf sie. Und wenn sie doch einmal zu ihr kamen, merkte sie, dass sie nicht die gleiche Sprache sprachen.
    Aber dann schien sich eine von ihnen zu verwandeln, sie verstand sie und redete mit ihr. Die Bürstendame, die mit ihr sprach, trug immer ein graues Tuch um den Kopf. Sie war sich sicher, dass diese Bürstendame vorher nicht in ihrer Sprache mit ihr hatte sprechen können, und sie war überrascht, dass sie es jetzt auf einmal konnte. Aber es war schön. Trotzdem verstand sie noch immer nicht alles, was die Bürstendame sagte.

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