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Welten - Roman

Titel: Welten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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als Held gepriesen, der etwas Unangenehmes, aber Notwendiges getan hatte. Auch das Mittel, mit dem er die Katastrophe verhindert hatte, kam ans Licht: Mit einer Zange hatte er dem Terroristen die Fingernägel herausgerissen (wie viele er hatte entfernen müssen, ehe der Attentäter kooperierte, wurde nicht bekannt). Eine eher amateurhafte, aber recht wirksame Methode, von deren Einsatz man manchmal hört.
    Obwohl viele Menschenleben gerettet worden waren und der Terrorist praktisch unversehrt war, drangen bestimmte Kreise aus Presse und Politik darauf, den Beamten wegen seiner Handlungsweise vor Gericht zu stellen und aus dem Dienst zu entlassen. Schließlich wurde er von der Polizei hinausgeekelt und wegen Körperverletzung angeklagt. Mit der Begründung, sich selbst verteidigen zu wollen, schlug er einen Rechtsvertreter aus, blieb dann aber während des gesamten Prozesses stumm. Er wurde lediglich zu einer Haftstrafe von zwei Jahren verurteilt, doch im Gefängnis lief es schlecht für ihn, und er verbrachte fast zehn Jahre hinter Gittern. In dieser Zeit wurden seine Kinder erwachsen, und seine Frau ließ sich scheiden, um wegzuziehen und einen anderen zu heiraten.
    In diesem von Gewalt und Verrat geprägten Jahrzehnt geriet er in Vergessenheit. Anfang des Jahres war er entlassen worden, doch nun hatte man ihn wieder verhaftet und zum Verhör überstellt. Ich hatte das Gefühl, dass mehr hinter dieser Geschichte stecken musste, zumal auch viele Einzelheiten meines Wissens nie geklärt worden waren. Letztlich konnte ich meine Neugier nicht bezähmen und übernahm den Fall. Dies verstieß zwar nicht gegen die Vorschriften,
war aber sehr ungewöhnlich. Ein- oder zweimal konnte man sich so etwas vielleicht erlauben, aber wenn man es ständig machte, folgte unweigerlich ein Aktenvermerk.
    Er sah ganz normal aus. Mittelgroß, blasse Haut, kurzes, schütteres braunes Haar und eine resignierte Miene. In den Augen funkelte vielleicht noch leiser Trotz, vielleicht war das aber auch nur meine Projektion. Nach den Prellungen im Gesicht zu schließen, war er irgendwann in den letzten Tagen zusammengeschlagen worden. Er war noch angezogen, und die Hände waren mit Handschellen und einer Kette nach hinten an den Boden gefesselt. Ansonsten saß er ganz normal und konnte sich frei bewegen.
    Ich zog einen anderen Stuhl heran und nahm vor ihm Platz, so nahe, dass er mich mit den Füßen hätte treten können. Normalerweise mache ich das sonst nie. Auf der Seite hatte sich ein jüngerer Beamter niedergelassen, der sich um das Aufnahmegerät kümmerte, aber darüber hinaus nicht in das Verhör eingriff.
    Zunächst fragte ich den Gefangenen 47 767, ob er tatsächlich der Mann war, für den ich ihn hielt. Er bestätigte es.Von da an benutzten wir seinen echten Namen, der Jay lautete. Ich forderte ihn auf, mir zu sagen, weshalb er seiner Meinung nach hier war.
    Er lachte bitter. »Ich habe den Falschen geschlagen.«
    Ich fragte, wen er meinte.
    »Den Sohn des Justizministers.« Er lächelte verächtlich.
    Warum hatte er ihn geschlagen?
    »Weil es mir nur noch auf den Sack geht, wenn mir irgendwelche stumpfsinnigen Arschlöcher erzählen, was für ein toller Hecht ich bin.«
    Ich erkundigte mich, ob er sich damit auf den Terroristen
bezog, den er gefoltert hatte, um das Versteck der Bombe herauszufinden.
    Jay schüttelte den Kopf und wandte den Blick ab. »Ach, lassen Sie mich raten. Sie gehören auch zu diesen Leuten, habe ich Recht?«
    Ich erklärte, dass viele Menschen seine Handlungsweise bewunderten, unter anderem auch ich.
    »Na ja, bei Ihnen ist das ja wohl kaum anders zu erwarten«, erwiderte er.
    Ich fragte, ob er damit auf meine Rolle als Verhörleiter anspielte.
    Er nickte. »Weil Sie ein Folterer sind.« Bei diesen Worten schaute er mir offen in die Augen. Ich bin geübt darin, andere niederzustarren, aber er wandte den Blick nicht ab.
    Ich versicherte ihm, dass ich ihn auch dann bewundern würde, wenn es nicht so wäre.
    »Sie und all die anderen Idioten.« In seiner Stimme lag mehr Resignation als Trotz, allerdings war auch die Nervosität unverkennbar. Er schluckte deutlich sichtbar.
    War er denn nicht stolz auf seine Handlungsweise?
    »Nein. Stolz bin ich darauf wirklich nicht.«
    Aber er hatte damit doch vielen Menschen das Leben gerettet.
    »Ich habe getan, was ich tun musste.«
    Würde er angesichts seines heutigen Wissens wieder so handeln?
    »Ich weiß es nicht.«
    Warum nicht?
    »Weil ich nicht weiß, ob es anders

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