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Welten - Roman

Titel: Welten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Oberflächlichkeit und Grausamkeit, die auf nichts anderes hinausläuft als auf die Billigung des schlimmsten und unverzeihlichsten Sadismus.
    Wenn ich diese Prüfungen überlebte, so habe ich dies gewiss ebenso sehr meinem Glück wie meinen angeborenen Eigenschaften zu verdanken. Tatsächlich wurde ich immer kompetenter und versierter in der Handhabung all der geheimen, ethisch fragwürdigen, technisch spezialisierten und anrüchigen Methoden, die für meine Arbeit erforderlich waren.
    Allerdings wuchs auch meine Angst, denn mit jeder weiteren Operation, bei der es um eine hochriskante Intervention, einen Anschlag oder eine Liquidation ging, war mir klar, dass mich auch meine immer vollkommeneren Fertigkeiten nicht jedes Mal retten konnten und dass irgendwann der Moment kommen musste, da sie mir überhaupt nichts mehr nützen würden. Mit jedem Auftrag stieg die Chance, dass es mein letzter war - nicht aus nachlassender Gründlichkeit, Kreativität oder Wachsamkeit, sondern schlicht aufgrund der Statistik.
    Schon längst hatte ich die meisten meiner Einsätze vergessen, und später konnte ich mich nicht einmal mehr daran erinnern, wie viele Menschen ich verletzt, verstümmelt oder dauerhaft traumatisiert hatte.

    Zuletzt verlor ich sogar, wie ich zu meiner Schande gestehen muss, den Überblick über diejenigen, die ich getötet hatte.
    Ich glaube, es gibt so etwas wie eine mulmige Emulsion aus Schuldgefühlen und Schicksalsergebenheit, die sich in denen breitmacht, die diese tödliche und fatale Arbeit verrichten. Tödlich für jene, die unsere Opfer sind; fatal für uns in dem Sinn, dass es auf jeden Fall ein schlechtes Ende mit uns nehmen muss, wenn wir nur lange genug weitermachen.
    Wir gelangen zu der Erkenntnis, dass wir diesem Ende nicht ewig entrinnen können, und das Grauen dieser Erkenntnis, diese wachsende Gewissheit, dass jeder erfolgreiche Einsatz den Tod unausweichlich näherrücken lässt, macht uns nervös, neurotisch, unausgeglichen und psychisch labil.
    Wenn wir in unserem Geschäft überhaupt noch so etwas wie ein Gewissen haben - und selbst wenn wir andere Menschen nur aus hehren Beweggründen liquidieren -, so müssen wir doch zugeben, dass wir uns zunehmend auf dieses Ende freuen und es herbeisehnen. Zumindest ist dann Schluss mit allen Sorgen, Schuldgefühlen und Alpträumen im Wachen wie im Schlafen.
    (Schluss auch mit den Ticks, Neurosen und Psychosen. Schluss damit, dass ich unweigerlich im Körper und Bewusstsein einer Person mit Zwangsstörung lande und dass dies die einzige Eigenschaft ist, die immer übertragen wird.)
    Ich hätte auch nein sagen, ich hätte aufhören können. Aber dummer Stolz und der Wunsch, mich von niemandem unterkriegen zu lassen, auch nicht von Madame d’Ortolan, obwohl sie inzwischen das unumstrittene Haupt
des gesamten Konzerns war, ließen mich weitermachen. Und als dieser anfängliche Antrieb wegfiel und ich hätte abtreten können, weil ich es allen bewiesen hatte, waren ein resignierter Fatalismus und das Verlangen nach dem Ende - nach einem plötzlichen, gewaltsamen Ende, als ob nur das all meinen Taten einen Sinn hätte verleihen können - an seine Stelle getreten, was mich zugleich stärkte und schwächte.
    Und so war es bereits zu spät, als ich endlich in der Lage gewesen wäre, auf meine Tätigkeit zu verzichten. Ich war ein anderer Mensch geworden. Auch ohne die vielen Welten ändern wir uns alle mit jedem Augenblick und finden unsere Kontinuität von einer Wachphase zur nächsten nur im Kontext anderer und unserer Institutionen. Aber um wie viel mehr gilt dies für jene, die von Seele zu Seele, von Welt zu Welt, von Bewusstsein zu Bewusstsein, von Kontext zu Kontext, von Hülle zu Hülle springen, die kaum Gekanntes hinter sich lassen, um immer wieder Unbekanntes vorzufinden?
    Einige Male dachte ich, meine Zeit sei gekommen. Zuletzt, als ich einen in Ungnade gefallenen Caudillo über die Treppe seiner Estancia hinab in das mannshohe Gras eines blaugrünen Feldes jagte, das sich bis zum Horizont erstreckte. Strauchelnd hetzte er die breiten Steinstufen hinunter, weil er zugleich seine Hose festhalten und vermeiden musste, über die eigentlich dafür vorgesehene rote Schärpe zu stolpern. (Ich hatte ihn auf der Toilette und auf frischer Tat ertappt: stoßend und zerrend unter einem auf ihm sitzenden Sklavenmädchen. Die sexuellen Neigungen von Menschen werden wohl nie aufhören, mich zu erstaunen, und dabei sollte man annehmen, dass ich inzwischen

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