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Welten - Roman

Titel: Welten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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dann hier. Wenn ja, wirst du dich hoffentlich an mich erinnern.Viel Glück.«
    »Man sieht sich im Sonnlicht. Man sonnt sich im Sündlicht. Streich die Ziegel!«
    Die Dame mit dem grauen Tuch berührte sie oft; immer wieder streichelte sie ihr die Hand, tätschelte ihr den Arm oder schob ihr das Haar aus der Stirn so wie jetzt.
    Flüssig.
    Im Licht bemerkte sie, dass auf den Wangen der Bürstendame mit dem grauen Tuch etwas Flüssiges war.Tränen.
    Seltsam. Eigentlich hatte sie geglaubt, dass nur sie selbst Tränen machte, sonst niemand.
    Dann verließ die Bürstendame mit dem grauen Tuch zusammen mit den anderen Reinigungskräften das Zimmer.
    Sie kam nie wieder.

DER WELTENWECHSLER
    Nach der extravaganten Todesfeier unter der Nebelkuppel war ich nicht mehr Madame d’Ortolans Goldjunge. Entgegen Mrs. Mulverhills Vermutungen war ich mir auch gar nicht sicher, ob ich es je gewesen war. Anscheinend hatte ich den wie auch immer gearteten Test im Rahmen dieser bizarren Serienorgie für zwei Personen bestanden, denn ich überlebte die Zeit unmittelbar danach, und es kam auch zu keinen weiteren Befragungen. Doch offensichtlich hatte ich sie gekränkt, und dafür wollte sie mich büßen lassen.
    Allerdings war ich ohnehin überzeugt, dass der gesamte Vorgang einem anderen Zweck gedient hatte. Man wollte herausfinden, wie leicht ich transportiert werden konnte, und den zweifellos in der Nähe befindlichen Spürern, Spähern und Voraussehern einen handfesten Anhaltspunkt für ihre Arbeit geben - wie einem Hund, den man am Kleidungsstück eines Gesuchten schnüffeln lässt. Falls eine persönliche Komponente im Spiel gewesen war - Madame d’Ortolans merkwürdige Eifersucht auf Mrs. Mulverhill -, dann war dies völlig nebensächlich im Vergleich zu dem eigentlichen Anliegen, die Sicherheit des Konzerns zu gewährleisten.
    Trotzdem war mir klar, dass sie mir diese Kränkung sehr verübelte. Ich hatte nicht reagiert, wie es sich gehörte. Im Gegenteil, ich hatte mir Widerwillen oder womöglich gar Abscheu anmerken lassen. Auf jeden Fall hatte ich nicht die ehrfürchtige, überwältigte, vielleicht auch verlegene und demütige Bewunderung an den Tag gelegt, die ihr nach ihrer Auffassung zustand.
    Verglichen mit anderen Dingen war es sicher keine große
Beleidigung gewesen; ein Durchschnittsmensch muss jedes Jahr mit ähnlichen oder schlimmeren Verletzungen fertigwerden. Aber für eine Person von Madame d’Ortolans unvergleichlichem Rang und ständig bestärktem Stolz kam die Kränkung völlig unerwartet und hob sich umso deutlicher von dem reibungslosen Geschehen in ihrem rücksichtslos blühenden Leben ab.
    Zunächst durfte ich mich mehrere Monate lang ausruhen und erhielt keine Aufträge, doch danach hatte ich zunehmend schwierige und gefährliche Einsätze für die Expédience zu absolvieren. Immer seltener konnte ich mich in meinem Haus zwischen den Bäumen hoch über Flesse aufhalten. Stattdessen verbrachte ich meine Zeit auf vielen Welten, beschäftigt mit wagemutigen Taten, Attentaten aus nächster Nähe und ausgemachten Gemeinheiten. Allmählich war selbst das Haus in Flesse nicht mehr die Zufluchtsstätte früherer Zeiten, und wenn ich frei über Septus verfügen konnte, machte ich Urlaub, falls diese Bezeichnung angemessen ist, in dem Venedig der Welt, wo ich meine kleine Piratenkapitänin getroffen und verloren hatte. Wie eine verirrte Seele wanderte ich durch eine von der Geschichte gezeichnete Gegend und machte mich vertraut mit dieser einzigartigen Verkörperung einer Welt, die versehrt war vom Erbe vergangener Grausamkeiten und der selbstzerfleischenden Anbetung von Eigennutz und Gier. Abermals war es deine Welt, von der ich behaupten kann, dass ich sie in vieler Hinsicht besser kenne als du.
    Es gibt ein Sprichwort für Dumme: Was mich nicht umbringt, macht mich stärker. Ich weiß aus eigener Anschauung - und war sogar oft selbst die Ursache -, dass einen das, was einen nicht umbringt, für immer zum Krüppel machen kann. Zu einem Krüppel, der in einem grausigen
Dämmerzustand um seinen Tod fleht, weil er für immer in einem vegetativen Zustand gefangen ist, den man nicht als Bewusstsein bezeichnen kann. Zumindest hoffe ich das. Nach meiner Erfahrung glauben die gleichen Dummen auch, dass alles aus einem bestimmten Grund geschieht. Angesichts der schrankenlos barbarischen Geschichte jeder von menschenähnlichen Wesen besetzten Welt, die wir entdeckt haben, ist dies eine Aussage von geradezu atemberaubender

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