Welten - Roman
Dabei hatte ich gehofft, diese Schwäche überwunden zu haben.
Ich versuche, diesen absurden Zwang zu ignorieren und weiterzuessen, aber es ist, als hinge der Löffel mit einem Gummiband am Teller, das mich daran hindert, den Löffel zum Mund zu führen. So lächerlich es scheinen mag, es ist tatsächlich einfacher, nachzugeben und die Erbsen zu zählen. Wenn ich den langsam einsinkenden Klumpen auf dem Löffel nur anstarre, kann ich natürlich keine genaue Zahl errechnen, auch wenn eine Schätzung dem Endergebnis recht nahe käme. Daher muss ich die Ladung auf einen Teller legen und sie dort zählen. Im schwachen Schein der Kerze ist das schwieriger, als es klingt. Ich muss die Erbsen in Fünferreihen sortieren, um ganz sicher zu sein. Nachdem ich die Summe ausgerechnet habe, kann ich sie nicht mehr alle aufheben. Ich schütte das Zeug zurück auf den Teller und mache einen neuen Löffel voll. Ich nehme an, dass die erste Ladung ziemlich typisch war. Sie sollte in etwa der entsprechen, die nun vor meinem Mund schwebt.
Aber ist es wirklich so? Allmählich werde ich wütend,
und mein immer noch fast leerer Magen knurrt. Trotzdem muss ich es wissen. War der erste Löffel typisch? Habe ich eine brauchbare Zahl errechnet? Ich kippe auch diese Ladung auf den Tellerrand, um sie zu zählen. Etwas mehr als beim ersten Mal. Ich nehme den Durchschnitt der beiden Werte. Aber schon beschleicht mich ein Zweifel, dass zwei vielleicht nicht ausreichen. Eine weitere Probe ist nötig. Schließlich ist drei auch die Ausgangszahl bei der Triangulation.
Aha, der dritte Löffel enthält eine Zahl, die zwischen den beiden ersten liegt: ein sicheres Zeichen, dass ich mich dem richtigen Wert nähere. Ich beschließe, mich auf keine Launen mehr einzulassen und den Löffelvoll einfach zu verspeisen. Es funktioniert, und ich kann mich wieder zurücklehnen. Ich seufze durch die Nase, während Zähne und Zunge die Erbsen rasch in einen Brei verwandeln. Ich schlucke und schaufle die nächste Ladung piselli piccoli auf den Löffel. Auf dem Tisch flackert die Kerzenflamme.
Der Löffel gleitet mir aus der Hand und klirrt gegen den Teller. Ich starre auf die Kerze und erinnere mich.
Doch plötzlich ist es nicht mehr nur eine Erinnerung.
Ich beobachtete, wie sie ihre Hand über der brennenden Kerze bewegte und sie mit den flatternd gespreizten Fingern fast zum Erlöschen brachte, ohne sich zu verletzen. Die gelbe Flamme neigte sich hin und her, flackerte und schickte rußige Rauchkringel zur dunklen Decke des Zimmers empor, in dem wir saßen, während sie langsam die Hand durch den gazeartigen Feuertropfen schob.
Sie sagte: »Nein, ich sehe Bewusstsein als eine Frage der Konzentration. Wie eine Lupe, die Lichtstrahlen auf einen Punkt bündelt, bis er sich entzündet. Die Flamme ist das
Bewusstsein. Erst aus der Bündelung der Realität entsteht Selbsterkenntnis.« Sie blickte zu mir auf. »Verstehst du?«
Ich starrte sie an.
Ich war mit ihr an diesem Ort. Hier und jetzt.
Es war keine Erinnerung, keine Rückblende. Sicher, wir hatten Drogen genommen, aber das hier war definitiv keine Folge ihrer benebelnden Wirkung. Alles war bestürzend unmittelbar und lebendig. Mit anderen Worten: real.
Sie legte den Kopf ein wenig schief. »Tem, hörst du mir zu?«
»Ja, ich hör dir zu.«
»Du wirkst zerstreut.« Sie zog das Laken, in das sie gehüllt war, enger um sich, als wäre ihr kalt. Dann holte sie Atem, um zu sprechen.
Ich kam ihr zuvor. »Es gibt keine Intelligenz ohne Kontext.«
Ihre Brauen zuckten. »Das wollte ich gerade …« Immer noch stirnrunzelnd, zog sie die Hand aus der Flamme zurück, die als lange, geschwungene Spur aus leuchtendem Gelb nach ihren Fingern leckte, als wollte sie sie nicht loslassen. »Hab ich das schon mal zu dir gesagt?«
»Nein, eigentlich nicht.« Ich beobachtete, wie sich die Flamme wieder aufrichtete.
In ihrem Blick lag Argwohn oder Verwunderung. »Hmm. Nun, es ist wie bei einer Lupe, die um ihren Brennpunkt praktisch einen Schatten wirft. Der Kranz aus vermindertem Licht um den hellen Punkt in der Mitte ist die erforderliche Einbuße, um die Bündelung zu erzeugen. Auf die gleiche Weise wird die Bedeutung aus der Umgebung gesaugt und in uns, in unserem Bewusstsein konzentriert.«
(Ihr Haar -)
Ihre braunroten Locken über den Schultern und auf
dem schlanken Hals bildeten eine stille Aureole um ihren geneigten Kopf. Die orangebraunen Augen wirkten fast schwarz und spiegelten die starre Kerzenflamme
Weitere Kostenlose Bücher