Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Welten - Roman

Titel: Welten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
Vom Netzwerk:
wider wie ein Bild des Bewusstseins, über das sie gerade geredet hatte. Sie schienen vollkommen reglos und ruhig. Ich bemerkte den winzigen Funken der Flamme in ihnen, unbeirrbar, stetig, lebendig. Langsam, fast träge blinzelte sie.
    Ich erinnerte mich an etwas, was mir eingefallen war: dass Augen nur durch Bewegung sehen; wir können unseren Blick nur auf etwas richten und es konzentriert betrachten, weil Dutzende von winzigen unwillkürlichen Bewegungen durch unsere Augen zucken. Hält man etwas in unserem Gesichtsfeld absolut still, dann verschwindet es.
    »Ich liebe dich«, flüsterte ich.
    Sie schrak hoch. »Was?«
    Das heftig ausgestoßene Wort reichte, um die kleine Kerzenflamme auszublasen und den Raum in Dunkelheit zu tauchen.
     
    Die Kerze auf dem Küchentisch des Palazzo Chirezzia erlischt durch einen plötzlichen Luftzug. Der Löffel verharrt unverändert auf halbem Weg zu meinem Mund so wie in dem Moment, bevor ich dieses Geschehen aus einem über zehn Jahre zurückliegenden und unendlich viele Welten entfernten Raum neu erlebt, durchgespielt und abgewandelt habe. Aber war mir der Löffel nicht aus der Hand gefallen? Irgendwo im Gebäude schnappt mit dumpfem Geräusch eine Tür zu. Hier in der Küche klickt und summt es auf einmal, Motoren setzen sich in Bewegung, und seufzend erwachen die Kompressoren von Kühl- und Gefrierschrank zum Leben. Draußen auf dem Gang schaltet sich ein Licht ein, und irgendwo in der Ferne höre ich Schritte.

DREIZEHN

PATIENT 8262
    Letzte Nacht verließ ich das Bett, das Zimmer und das Stockwerk, um hinunter ins Erdgeschoss zu steigen, wo ich erst gestern etwas Schreckliches beobachtet hatte. Ich fand die stumme Station wieder. Ich hatte selbst einige Zeit dort gelegen. Es dauerte nicht lang, doch es reichte. Ich fand es grauenhaft.
    Es passierte, nachdem ich im Büro der breitschultrigen Ärztin das Bewusstsein verloren hatte. Was dort eigentlich geschehen ist, weiß ich noch immer nicht. Auf jeden Fall endete es mit einer Art halluzinatorischem Erlebnis, einem luziden Alptraum mit voodoohaften Ursachen und Wirkungen und zuletzt einem Zusammenbruch, für den ich offen gesagt dankbar war und sogar noch immer dankbar bin, auch wenn es mir dadurch schwerer wurde herauszufinden, was genau vorgefallen ist.
    Normalerweise gibt es nach meiner Erfahrung einen bestimmten Punkt, ab dem man schläft und träumt. Doch bei den gestrigen Ereignissen kann ich mich nicht an einen solchen Punkt erinnern.War alles nur ein Traum? Das kann nicht sein. Zumindest habe ich gestern mein Zimmer verlassen und wurde woandershin gebracht.
    Nach meinem Aufenthalt in der stummen Station (dazu komme ich gleich) wurde ich auf einem fahrbaren Bett wieder hierhergekarrt. Ich bin mir sicher, dass ich zu diesem Zeitpunkt genauso wach war wie jetzt. Aber wenn ich es mir recht überlege, fühlte ich mich auch zu Beginn des Erlebnisses mit der stämmigen Ärztin völlig wach. Nun,
das müssen wir beiseitelassen. Zwischen dem Erwachen auf der stummen Station und jetzt liegt ein Kontinuum banaler Erlebnisse. Keine zusammengequetschten Puppen, die dazu führten, dass jemand Atemprobleme oder einen Herzschlag bekam und sich dann aus dem Fenster stürzte. Wie man mir berichtet, habe ich mir das sowieso alles nur eingebildet.
    Offenbar muss ich mir das alles ganz genau durch den Kopf gehen lassen. Deswegen liege ich jetzt mit geschlossenen Augen hier und denke konzentriert nach.Vielleicht muss ich aufstehen und bei den Sabberern im Aufenthaltsraum weitere Nachforschungen anstellen und auch das Pflegepersonal befragen, doch fürs Erste ist es wichtig, dass ich mich ausruhe und mir die ganze Sache ohne Ablenkungen durch den Kopf gehen lasse.
    Abgesehen davon ist mir deutlich bewusst, dass die Tür zu meinem Zimmer geschlossen ist. Und ich werde die Augen sofort öffnen, sobald ich höre, wie sie aufgeht, für den Fall, dass der Eindringling von neulich die Dreistigkeit besitzt, seinen Besuch bei Tageslicht zu wiederholen.
    Zwei Dinge. Erstens weiß ich nicht, wann der Besuch bei der untersetzten Ärztin von Normalität in Absurdität umschlug. In meiner Erinnerung spielt sich alles völlig nahtlos ab. Das ist äußerst irritierend. Als wäre man außerstande, einen einfachen Zaubertrick zu durchschauen oder an einem geflickten Kleidungsstück die reparierte Stelle zu erkennen.
    Das Zweite sind die Geschehnisse, nachdem ich das Bewusstsein wiedererlangte.
    Ich erwachte auf einem fahrbaren Bett. Nur zwei schwache

Weitere Kostenlose Bücher