Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Welten - Roman

Titel: Welten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
Vom Netzwerk:
ich mich um. In dem Saal befanden sich mindestens zwei Dutzend Leute. Aber es waren kaum Einzelheiten zu erkennen, nur dunkle klumpenförmige Gestalten in Betten. Einige schnarchten, wenn auch nicht sehr laut. Ich kann doch einfach rufen, dachte ich. Vielleicht würde einer von ihnen aufwachen und mir helfen. So konzentrierte ich mich auf das etwa einen Meter entfernte Nachbarbett. Die schlafende Person schien ziemlich dick und hatte den Kopf von mir abgewandt, aber wenigstens war sie nicht mit Gurten festgeschnallt.
    Ich war überrascht, dass meine Befreiungsbemühungen niemanden aufgeweckt hatten. Vielleicht war ich doch recht leise gewesen. Über der Station lag außerdem ein merkwürdiger Geruch. Auch das jagte mir zunächst Angst ein.War da irgendetwas durchgeschmort? Ein Kurzschluss!
Eine brennende Matratze! Doch bei genauerer Überlegung kam ich darauf, dass es kein Brandgeruch war. Nicht besonders angenehm, aber nichts mit Feuer. Vielleicht war einem der Patienten ein kleines nächtliches Missgeschick unterlaufen.
    Ich konnte rufen. Leise räusperte ich mich. Ja, kein Problem. Alles fühlte sich an, als müsste es normal funktionieren. Trotzdem zögerte ich. Und wenn die Person, die versucht hatte, sich an mir zu vergehen, nun hier war? Oder wenn einer der Anwesenden ähnliche Neigungen hatte? Natürlich war das nicht sehr wahrscheinlich. Alle gefährlichen Patienten waren doch sicherlich in ihren Zimmern. Eingeschlossen oder zumindest festgezurrt, wie - irrtümlicher- und absurderweise - auch ich.
    Dennoch konnte ich mich nicht zu lautem Rufen überwinden.
    Einer der Patienten in der Station stieß ein Grunzen aus wie ein Tier. Ein anderer schien ihm zu antworten. Wieder wehte der Geruch herüber.
    Ein erschreckender Gedanke stieg in mir auf. Und wenn das gar keine Menschen waren, sondern tatsächlich Tiere? Das würde zumindest die Unförmigkeit vieler der Umrisse, den Geruch und die unheimlich grunzenden Geräusche erklären.
    Andererseits hatte ich in der Zeit meines Aufenthalts hier kein Anzeichen dafür entdecken können, dass die Klinik etwas anderes war als eine respektable und menschlich geführte Einrichtung mit tadellosen Heil- und Pflegeverfahren. Abgesehen von den Daten, mit der meine höchst eingeschränkten Sinne mein verängstigtes Bewusstsein und meine fieberhaft arbeitende Fantasie versorgten, sprach alles für die Annahme, dass es sich hier um eine
ganz normale Station voller schlafender Patienten handelte. Doch wenn jemand nach einem wirklich bizarren Erlebnis ohnmächtig wird und beim Aufwachen feststellt, dass er hilflos an ein Bett geschnallt ist und nachts zusammen mit lauter Fremden in einem Zimmer liegt, ist es kein Wunder, wenn er sich die schlimmsten Dinge ausmalt.
    Allmählich dämmerte mir, dass der sonderbare Geruch und wohl auch einige der Grunzlaute aus dem Nachbarbett kamen, dessen korpulenter Insasse sich auf einmal regte, als wollte er sich zu mir umdrehen.
    Unwillkürlich entfuhr mir ein angstvolles Winseln. Die Person im Bett hielt inne, als hätte sie mich gehört und wäre aufgewacht. Diese Chance wollte ich nicht verstreichen lassen. »Hallo?«, rief ich. Keine Menschenseele regte sich. »HALLO!«
    Langsam begann die Gestalt im Nachbarbett, sich zu mir herumzuwälzen.
    Plötzlich hörte ich von draußen ein Geräusch und blickte gespannt in diese Richtung. In der Verglasung der Tür zeichnete sich ein von hinten erleuchteter Schemen ab, der sich auf dem Korridor näherte. Dann schwangen die Türflügel auf, und ein leise vor sich hin summender Pfleger schlenderte herein. Vor meiner Liege blieb er stehen und spähte mit zusammengekniffenen Augen in die am Fußende befestigten Notizen. Ich nutzte das etwas bessere Licht, um dem Mann im Nachbarbett einen kurzen Blick zuzuwerfen. Ich sah ein dunkles, dickes, aber völlig menschliches Gesicht mit einem ungefähr eine Woche alten Bart. Schlafend, mit blödem Ausdruck, Mund und Gesichtsmuskeln schlaff. Er schnarchte. Als ich mich wieder umwandte, bemerkte ich, dass der junge Pfleger auf die Radbremse meiner Liege trat.

    Er schob mich hinaus und ließ die Doppeltür hinter uns zufallen, ohne auf das Geräusch zu achten. Dann nahm er erneut mein Patientenblatt zur Hand, um es ins Licht zu halten. Mit einem Achselzucken befestigte er es wieder am Fußende des Betts und beförderte mich, inzwischen pfeifend, durch den Korridor.
    Anscheinend bemerkte er meinen Blick, denn er zwinkerte mir zu. »Sind Sie wach, Mr. Kel? Sie sollten

Weitere Kostenlose Bücher