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Welten - Roman

Titel: Welten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Überraschung schicken.«
    »Für mich besteht kein Zweifel, dass ihr Einsatz zu der einen oder anderen unangenehmen Überraschung führen wird.«
    Madame d’Ortolan hat sich ihm nicht zugewandt, ihr Interesse gilt noch immer der weißen Gestalt. »Vielleicht auch für unsere Seite, meinen Sie.«
    »Das wollte ich damit andeuten.«
    »Botschaft angekommen, Mr. Kleist.« Madame d’Ortolan kneift die Augen zusammen. »Ich glaube, ich habe sie noch nie im Sonnenlicht gesehen.« Sie spricht so leise, dass sich Mr. Kleist nicht sicher ist, ob sie gehört werden wollte.
    Wahrscheinlich hat sie Recht. Bisher kannten sie das Geschöpf nur aus Labors, auf zahnarztstuhlähnliche Geräte geschnallt, eingesperrt in gepolsterte Käfige oder an Krankenhausbetten gebunden, manchmal weinend, manchmal hysterisch, in letzter Zeit auch öfter sorglos vor sich hin summend oder Unsinn brabbelnd, doch immer umgeben von eifrigen Technikern mit Klemmbrettern, Elektroden und Messgeräten, nur selten mit einem Fenster in der Nähe und immer in künstlichem Licht. Und stets in irgendeiner Weise gefesselt.
    Kein besonders angenehmer Anblick bisweilen, aber es ging darum, die unkontrollierten Kräfte der jungen Frau -
die sich schon ab ihrer Geburt gezeigt hatten - zu steigern und zu verfeinern. Im Lauf der Zeit wurde sie sozusagen zur Waffe gemacht. Er persönlich ist der Meinung, dass man vielleicht etwas weniger Augenmerk darauf hätte richten sollen, diese Fähigkeiten in immer atemberaubendere Höhen zu schrauben, als darauf, sie besser berechnen und steuern zu können. Auf jeden Fall ist Bisquitine in ihrer gegenwärtigen Form zum großen Teil das Werk von Madame d’Ortolan, deren Art es nun einmal nicht ist, die Dinge mit übertriebener Ängstlichkeit zu betrachten.
    »Hmm«, macht Madame d’Ortolan. »In diesem Licht sieht sie aus, als hätte sie einen Hauch Mischlingsblut in den Adern. Finden Sie nicht?«
    Mr. Kleist gibt vor, einen genaueren Blick auf die Gestalt zu werfen. »Ich kann nichts erkennen, Madame.«
    Madame d’Ortolan kehrt sich wieder der Gruppe zu und nickt fast unmerklich. »Ein Achtel vielleicht, würde ich schätzen.«
    Nach längerem Schweigen seufzt Mr. Kleist. »Wie auch immer, Madame, wenn Sie wirklich entschlossen sind, sollten wir keine Zeit mehr vergeuden.«
    Madame d’Ortolan funkelt ihn an, dann lässt sie die Schultern sinken. »Sie haben Recht. Ich zaudere.« Sie deutet zur Treppe, die von der Terrasse nach unten führt. »Wir müssen die Gelegenheit ergreifen.« Sie klopft ihre Blusenrüschen flach auf den Jackenaufschlag. An ihrer Brust hängt schlaff eine von Mr. Kleist kastrierte Blume. »Und die Initiative.«
    Als sich Kleist und Madame d’Ortolan nähern, wird deutlich, dass Lady Bisquitine Insekten, Schnecken und kleine Erdklumpen aus den Blumenbeeten aufgesammelt und einige von ihnen verspeist hat. Die anderen werden in einem
geblümten Schnürbeutel verstaut, der an ihrer Hüfte hängt. Ihr hübsches, von wippenden blonden Locken umrahmtes Gesicht, sauber gehalten und ganz leicht geschminkt von ihrer eifrigen Kammerfrau, zeigt braune Streifen an den Mundwinkeln, bis die besagte Dienerin - eine dünne, schwarz gekleidete Gestalt, die sich bewegt wie ein staksender Vogel - ein Taschentuch mit Speichel befeuchtet und ihrem Schützling mit missbilligendem Schnalzen die Lippen abwischt.
    Bisquitine bleibt stehen und starrt Madame d’Ortolan mit offenem Mund an. Ihr Ausdruck wirkt leer wie bei einem kleinen Kind, das beim Anblick von etwas Neuem und Überraschendem noch nicht weiß, ob es in lautes Lachen oder in Tränen ausbrechen soll. Zwei ihrer Betreuer, kräftige junge Männer in einer speziellen dunkelgrauen und braunen Uniform, die mit halbautomatischen Pistolen und Elektroschockwaffen ausgerüstet sind, berühren ihre Mütze, um der Herantretenden ihre Ehrerbietung zu erweisen. Die anderen zwei sind im Vergleich schmächtiger und zwanglos gekleidet. Sie wirken gelangweilt. Trotzdem nicken sie beide. Die Kammerfrau knickst.
    »Bisquitine, meine Liebe.« Madame d’Ortolan bleibt ein Stück vor ihr stehen und lächelt. Wenn sie Bisquitine begegnet, weiß sie nie so recht, was sie mit den Händen anfangen soll. Sie zu berühren könnte gefährlich sein. »Wie geht es dir? Du siehst gut aus!«
    Noch immer gafft Lady Bisquitine Madame d’Ortolan an. Dann scheint sie auf einmal absolut entzückt, und über ihr hübsches Gesicht zieht ein unschuldiges Lächeln. Mit glockenheller Kinderstimme

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