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Welten - Roman

Titel: Welten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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schwach.
    Wieder trat er zu ihr und legte die Arme um sie. Den Kopf an seiner Brust drückte sie sich sanft an ihn. Kurz darauf meldeten ihre Sauerstoffflaschen fast gleichzeitig mit einem Piepen, dass sie nur noch Gas für einige wenige Minuten enthielten.

VIERZEHN

PATIENT 8262
    Ich glaube, ich muss verschwinden. Ich kann hier nicht mehr bleiben. Oder doch? Ich bin mir nicht sicher.
    Es ist bequem hier. Natürlich ist es nicht vollkommen. Noch immer mache ich mir Sorgen, dass sich wieder jemand an mir vergreifen will, und dann ist da noch der verstörende Vorfall mit der breitschultrigen Ärztin und ihren Puppen, als mir die Realität zu entgleiten schien und ich mich nur noch in eine Ohnmacht flüchten konnte. Trotzdem führe ich hier ein relativ ruhiges und unbedrohtes Leben.Vielleicht sollte ich bleiben.
    Ich verbringe weniger Zeit schlafend, dösend oder mit geschlossenen Augen, um mehr über meinen Aufenthaltsort in Erfahrung zu bringen: Über die Gesellschaft, die Klinik, meine Identität. Bisher sind die Ergebnisse dieses Bemühens eher durchwachsen. Dennoch halte ich es für nötig, gleich, ob ich bleibe oder die Anstalt verlasse. Wenn ich bleibe, muss ich wissen, wo dieser Ort ist, um auf mögliche Geschehnisse vorbereitet zu sein. (Angenommen, ich bin nur hier, solange irgendein Programm einer Krankenkasse in Kraft bleibt und werde danach rücksichtslos hinausgeworfen.) Und wenn ich gehe, muss ich wissen, in welche Welt ich mich wage.
    Daher begebe ich mich inzwischen, wenn auch nur mit großem Widerstreben, häufiger in den Aufenthaltsraum, und sehe mit den dort versammelten Sabberern, Nuschlern, Anfallsschreiern und Windelträgern fern. (Ein oder zwei der Stammgäste sind nicht völlig hoffnungslos, aber
sie sind deutlich in der Minderheit.) Doch es ist wirklich erstaunlich, wie wenig man den Sendungen entnehmen kann, für die sich diese Leute entscheiden. Ich habe versucht, Programme für Nachrichten und Zeitgeschehen zu finden, aber das führt unweigerlich zu Protesten, selbst von den Kerlen mit hängendem Kiefer, die genauso gut eine Karotte anstarren könnten wie ein funktionierendes TV-Gerät.
    Vor allem mögen sie Zeichentrickfilme. Sie verfolgen Programme mit viel Gebrüll, Bewegung und Farben, aber sobald das Gehirn mehr gefordert ist als das eines Kleinkinds durch die über dem Bettchen aufgespannten Plastikspielsachen, können sie nichts damit anfangen. Auch meine Kenntnisse der Landessprache haben sich durch diese Exkursionen in den Aufenthaltsraum kaum verbessert. Eigentlich mache ich nur weiter, weil ich mich dank der läppischen Qualität der Sendungen manchmal leicht aus dem Hier und Jetzt lösen und ungestört nachdenken kann.
    Auf meine Bitte hin habe ich ein eigenes Radio in mein Zimmer bekommen. Das ist besser. Noch immer verstehe ich kaum mehr als ein Viertel des Gesagten - noch weniger, wenn die Leute schnell reden -, aber inzwischen habe ich herausgefunden, dass es sich um eine überwiegend friedliche Welt und eine relativ egalitäre Gesellschaft handelt. Die Kosten für meine Pflege trägt der Staat und wird dies auch weiterhin tun. Ich bin hier, weil ich einen Zusammenbruch erlitten habe und danach einen Monat lang in einer Art katatonischem Zustand war. Meine Betreuer glauben, dass ich noch immer unter einer Mischung aus Amnesie und Wahnvorstellungen leide oder dass ich mich einfach verrückt stelle, um mich, aus welchem Grund auch immer, der Welt zu entziehen.

    Auch der Station der schlafenden Männer habe ich wieder einen Besuch abgestattet, diesmal bei Tageslicht. Niemand hat mich davon abgehalten. Es ist doch eine völlig normale Station. Bis auf einige, die dösten, waren die Männer alle wach. Neben den Betten standen Stühle, es gab Blumen und Genesungskarten auf den Nachttischen, und ein Patient hatte sogar Besuch von seiner Familie - einer Frau mit traurigem, blassem Gesicht und zwei kleinen, stillen Kindern. Die zwei Erwachsenen unterhielten sich leise. Einige von den anderen schauten zu mir herüber, als ich in der Tür stand. Nachdem ich ihren neugierigen Blick registriert hatte, wandte ich mich ab und verschwand durch den hallenden Korridor, erleichtert und enttäuscht zugleich.
    Mein Name ist mir noch immer fremd. Kel. Mr. Kel. Mr. Pohley Kel. Er sagt mir überhaupt nichts - bis auf die Tatsache vielleicht, dass er mir irgendwie verkehrt erscheint. Aber jetzt habe ich ihn nun mal und muss damit klarkommen. Im Grunde ist er auch nicht schlechter als irgendein

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