Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Welten - Roman

Titel: Welten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
Vom Netzwerk:
singt sie:
    »Ugby Dugby beißt in’nen Kloß, Ugby Dugby wird riesengroß. Ugby Dugby wagt sich aufs Eis, Ugby Dugby zieht
einen Kreis.« Zur Betonung nickt sie einmal stolz, dann setzt sie sich auf den Boden, und ihr weißes Kleid umfließt sie wie vergossene Milch. Mit angestrengt im Mundwinkel arbeitender Zunge nimmt sie einen Käfer aus ihrem Schnürbeutel, zupft an seinen Flügelschalen und lässt sie wieder zurückschnappen, während das protestierend brummende Insekt zwischen ihren schmutzigen, knubbeligen Fingern zuckt.
    Einer der gelangweilten Betreuer wendet sich seufzend an Madame d’Ortolan. »Entschuldigen Sie, Madame. Seit einiger Zeit läuft es ein bisschen schlechter.« Mit einem Achselzucken betrachtet er Bisquitine, die inzwischen eine Flügelschale ganz weggerissen hat und schielend den darunter ruhenden Flügel inspiziert. Der junge Mann setzt ein unsicheres Lächeln auf. Anscheinend ist er stellvertretend verlegen.
    »Aber trotzdem«, meint Madame d’Ortolan, »geschickt, nicht? Begabt.«
    Der andere dünne Jüngling bläst die Backen auf und nickt vielsagend. »Kein Zweifel, Madame. Die Fähigkeiten der Lady sind ungeschmälert.« Er blinzelt ins Sonnenlicht, ganz ähnlich wie Mr. Kleist.
    Der erste Betreuer verdreht die Augen. »Seit dem Frühstück haben wir sie mindestens fünfmal davon abgehalten abzuspringen.« Er schüttelt den Kopf.
    Bisquitine reißt dem Käfer die andere Flügelschale aus und steckt sie zwischen die Zähne, um sie zu kosten. Dann verzieht sie das Gesicht und spuckt sie aus. Als sie sich vorbeugt, tröpfelt ihr der Speichel aus den offenen Lippen. Ächzend wischt sie sich mit dem Ärmel den Mund ab.
    Gemessen mustert Madame d’Ortolan die Kammerfrau. »Mrs. Siankung, wenn ich mich recht entsinne?«

    »Madame.« Sie knickst erneut.
    »Wir benötigen Lady Bisquitines Dienste und besondere Fähigkeiten.«
    Mrs. Siankung schluckt. »Sofort, Madame?«
    »Sofort.«
    »Geht es … wieder um Untersuchungen, um Ausbildung?«
    »Nein, keineswegs.«
    »Ich verstehe, Madame.«
    Die Kammerfrau wirkt überrascht, wie Kleist findet. Sogar erschrocken. Und außerdem ziemlich verängstigt.
    In einem vergeblichen Versuch zu entfliehen, lässt der Käfer laut die Flügel vibrieren. Die großen, hornartigen Mandiblen öffnen sich zu verkrampften Scherenbewegungen und kneifen Bisquitine in den Finger. Bisquitine zuckt zusammen und fixiert das Insekt mit bösem Blick. Dann schnippt sie es sich als Ganzes in den Mund und fängt mit nur leicht angewiderter Miene an, darauf herumzukauen. Das Knirschen ist deutlich zu hören.

DER WELTENWECHSLER
    Etwas ganz und gar Unheimliches passiert, während ich in der Hauptküche des Palazzo Chirezzia sitze und der Löffel Erbsen noch vor meinen Lippen schwebt. Ich habe den äußerst flüchtigen Eindruck einer Art Explosion - zuerst wirkt das Ganze wie gefroren, dann stürze ich hinein, oder es wirbelt mir entgegen, und ich erkenne, dass die Oberfläche eine kochende Masse ist -, dann bin ich wie ein Partikel in einer Nebelkammer, schwirre durcheinandergeschüttelt
von der Brown’schen Molekularbewegung durch eine unendliche Zahl von Welten, die so schnell an mir vorbeirasen, dass ich nichts erkennen kann, und plötzlich, wamm, bin ich wieder hier, nur dass ich anscheinend zum Teil aus mir herausgesprungen bin, denn ich schwöre, dass ich mich auf einmal selbst sehen kann, wie ich da in der Küche sitze.
    Und ich sehe den ganzen Palast. In drei Dimensionen und als wäre alles aus Glas: Dachziegel, Balken, Bodenbretter, Teppiche,Wandtäfelung, Möbel und sogar die Pfähle, auf denen das gesamte Gebäude ruht - alte, verkrümmte Baumstämme, die dicht nebeneinander metertief in den Schlamm gebohrt wurden. Sämtliche Gegenstände sind an ihrem Platz, ich kann die verschiedenen Farben erfassen und auch Details wie die Muster auf den Perserteppichen im ganzen Haus, doch gleichzeitig durchdringt mein Blick alles. Auch die unmittelbare Umgebung sehe ich: die ebenfalls am Canal Grande liegenden Nachbargebäude des Palazzo, den kleinen Kanal auf einer Seite, die Calles auf der anderen. Dazu habe ich einen undeutlichen Eindruck vom Rest der Stadt. Doch meine gesamte Aufmerksamkeit richtet sich auf die Beschaffenheit des Palazzo.
    Wer macht das, verdammt? Mache ich das? Ich hatte das Gefühl, als wäre ich in einem Wimpernschlag von weit draußen aus einer Metarealität exakt in diese Welt, diese Stadt, dieses Gebäude hier und jetzt gezoomt. Aus Unterhaltungen

Weitere Kostenlose Bücher