Weltenfresser - Die Tränen der Medusa (German Edition)
stillenden Hunger, der wie Wellen von der Gestalt in der Tür auszugehen schien.
Plötzlich wurde das Gesicht des Draugr von einem Holzstab durchbrochen. Tyarks Herz machte einen Sprung, als er Zajas Kampfstab erkannte, den sie mit einem Laut der mutigen Verzweiflung durch den Kopf des Geistes getrieben hatte – ohne auf Widerstand zu treffen.
Von einem Moment auf den anderen hatte der Draugr sich umgedreht und Tyark sah nur noch den wulstigen Rücken, vom dem das verfaulte Fleisch bereits in großen Stücken abgefallen war und die Rippenbögen freigab.
Im nächsten Moment hatte sich der gebrochene Arm des Draugr in die Brust Zajas gebohrt. Ihre fuchtelnden Hände fuhren durch ihn hindurch wie durch Luft. Schon verdrehte Zaja ihre Augen, bis nur noch das Weiß zu sehen war. Ein gurgelndes Keuchen drang aus ihrer Kehle, ihr Stab fiel polternd auf den Boden.
Benommen begriff Tyark, dass Zaja sterben würde, wenn er ihr nicht sofort half. Ohne weiter nachzudenken, sprang Tyark auf den Draugr zu und hieb auf dessen Kopf ein, gefasst darauf, ebenfalls nur Luft zu treffen. Aber vielleicht würde das den Draugr für einen Moment ablenken...
Die Schwarze Klinge zischte durch den Qualm. Sie wäre Tyark beinahe aus der Hand gesprungen, als sie wider Erwarten im Schädel des Draugr steckenblieb. Gleichzeitig fühlte Tyark eine sich schlagartig ausbreitende Kälte, als sei der Griff der Klinge schlagartig eiskalt geworden.
Jetzt spürte Tyark den Draugr in seinem Innersten – oder vielmehr die Wesenheit, die der Draugr vor undenklich langer Zeit einmal gewesen sein mochte. Er fühlte den Geist in seinem Kopf, spürte diesen unglaublichen, alles verzehrenden Hunger, seine Wut, seine Kälte – und lähmende Einsamkeit. Aber er spürte auch, wie der Draugr plötzlich vor ihm zurückwich.
Im nächsten Augenblick war der Draugr bereits mehrere Schritte von ihnen entfernt und Zaja sank japsend neben Tyark auf die Knie.
Tyark blickte den Draugr an, der unbewegt zurückstarrte. Dann begann der Geist, sich langsam aufzulösen und schon bald war dort nur noch der Dunst und Rauch des Feuers hinter ihm. Hustend und mit vor Kälte tauber Hand half er Zaja auf und gemeinsam strauchelten sie auf die Tür zu, die Pereo aufgestoßen hatte. Tyark kam sich vor wie in einem Traum, als er, Zaja stützend, in die helfenden Arme Peros und Jobdans fiel.
Halb betäubt lief er mit ihnen einen dunklen Gang entlang, seine Gedanken kreisten dabei um den Totengeist. Immer wieder musste er an den Draugr denken. Und vor allem daran, wie er ihn in seinem Verstand gespürt hatte.
Und er versuchte zu begreifen, warum der Draugr vor ihm zurückgewichen war – und wie bei den Alten er ihn mit dem Schwert hatte treffen können!
Wie aus weiter Ferne vernahm er seinen eigenen, keuchenden Atem.
Der letzte Gedanke, den Tyark hatte, bevor er ohnmächtig wurde, war, dass der Draugr etwas in Tyark gespürt hatte. Etwas Überraschendes, womit der Geist nicht gerechnet hatte und vor dem er, vielleicht sogar so etwas wie Angst zu haben schien.
***
Die beiden Schwestern saßen auf einem hohen Felsen, unter sich die endlosen Ausläufer des Waldes, über sich das grenzenlose Blau des Himmels.
Beide mochten nun elf Sommer alt sein und befanden sich an der Schwelle zu Frauen. Der Wind ließ ihre langen Haare flattern und um die Köpfe wehen, der Wald unter ihren Füßen glich einem wogenden, grünen Meer.
In gerade noch kindlicher Gelassenheit scherzten sie miteinander, genossen die warmen Strahlen der Sommersonne. Der Blick der Blonden wurde für einen Augenblick glasig und alsbald stieg eine kleine, helle Kugel aus ihrer Hand auf.
Die leuchtende Schöpfung ihres Geistes verharrte in der Luft und wurde dann immer heller und strahlender, bis sie schließlich selbst im Sonnenlicht eigene Schatten warf. Die Schwarzhaarige bedeckte ihre Augen und kicherte vergnügt. Denn in dem grellen Licht war keine Hitze, nur ein weißes, vollendetes Strahlen.
Schließlich verblasste die kleine, weiße Sonne in ihrer Hand und die Blonde sank erschöpft, aber zufrieden auf die Wiese zurück. Ihre Schwester betrachtete sie fasziniert und fiel ihr dann um den Hals. Beide umarmten sich innig und schworen sich, ihre Geheimnisse zu bewahren. Für immer.
Während dieses Versprechens hielt die Schwarzhaarige innig ihre Augen verschlossen, nur die ihrer Schwester waren geöffnet. Der Blick darin schien ins Leere zu wandern und alles Kindliche, alles Menschliche darin war einer
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