WELTENTOR 2013 - Fantasy (German Edition)
Lächeln.
Der Lärm der Straße drang in ihr Zimmer. Die Kakophonie der Stim -men vermischte sich mit krachendem Feuerwerk. Geschrei und Geläch-ter erschallten. Vom Klang des nächtlichen Festes in Bann gezogen verließ sie ihr Zimmer, warf sich einen purpurnen Umhang über und eilte die Treppe hinunter. Bereits im Flur konnte sie den schummerigen Feuerschein und das Aufblitzen explodierender Feuerwerkskörper sehen. Voller Vorfreude trat sie auf die Straße.
Über den Dächern der alten Backsteinhäuser offenbarte sich ihr ein mannigfarbiges Schauspiel. Raketen, einen Funken sprühenden Schweif hinter sich herziehend, zerbarsten in Licht und Farben. Die Geräusch -kulisse war hier draußen viel klarer als in ihrem beengten Zimmer. Keine steinernen Wände mehr, die jeden Laut zu einem dumpfen Geräusch reduzierten. In ihrer Nähe donnerte es, und sie erschrak. Der Knall ließ ihre Ohren klingeln. Sie riss sich von dem farbenfrohen Anblick los und schaute sich um.
Rauchschwaden hingen träge in der Luft, gleich Nebelbänken, die lau tlos über Boden und Wasser waberten. Zu hunderten schwammen Lampions in den schmalen Kanälen. In vielen von ihnen brannten Kerzen, manche jedoch waren bereits erloschen.
Auf den Gehwegen, Brücken und Brüstungen waren Blütenblätter ve rstreut. Lodernde Fackeln und Laternen erfüllten die Stadt mit einem feurigen Zwielicht, in dem sich festlich gekleidete Gestalten tummelten.
Sie wandte sich nach links, fort von ihrem Haus, hin zu den Brücken.
Der Duft von Parfüm und der Gestank von Asche und Verbranntem stiegen ihr zugleich in die Nase. Sämtliche Menschen, die ihr begegne-ten, hüllten sich ebenso wie sie in eine Maskerade. Versteinerte Mienen in Form von Dämonenfratzen begrüßten sie, stets höhnisch grinsende Masken sahen ihr hinterher, Halbmasken versteckten Nasen und Au-gen, präsentierten allerdings schmunzelnde Münder. Man kleidete sich in prunkvolle Tournürenkleider, verzierte Brokatwesten oder edle Ka-puzenumhänge und trug Hüte oder Perücken.
Sie erklomm ein ige Stufen, vorbei an einem eng umschlungenen Paar, das sich an das Geländer drückte. Im Vorbeigehen einen kurzen Blick wagend traf ihrer den des Mannes. Das seltsame Funkeln in seinen Au-gen ließ sie unberührt. Ein Harlekin verneigte sich, als sie ihn passierte. Für Sekundenbruchteile schenkte sie ihm ein Lächeln, ehe sie sich ab-wandte und sich zu der einsamen Gestalt auf der Brücke gesellte.
Als er sie erkannte, lediglich einen Augenblick zögernd, kam ihr der Mann entgegen. Er verbarg sich hinter einem pechschwarzen Cape mit besticktem Schulterüberwurf. Das Innenfutter war mit bordeauxfarbe -nem Satin ausgekleidet. Unter der Kapuze schauten eine hakennasige Maske und braune Haarsträhnen hervor. Er legte den Kopf schief und küsste sie auf den Mund.
Sie erwiderte den Kuss einen Moment lang, bevor sie sich von ihm löste.
„Können wir, Aurelia?“, fragte er und bot ihr seinen Arm an.
Sich einhakend folgte sie ihm über die Brücke.
Der Harlekin, der vor ihr soeben noch freundlich das Haupt geneigt hatte, rauschte mit zwei Kompagnons an ihnen vorbei. Schrill kichernd warfen sie Papierfetzen in die Luft, derweil sie tanzend und springend in der Menge untertauchten.
Ihr Gefährte grunzte nur vergnügt.
Die Gasse mündete in einer breiten Allee. Zwischen den Bäumen waren Girlanden gespannt und in den sanft im Wind wiegenden Ästen hingen Papierlaternen. Der gesamte Straßenzug war heillos überfüllt. Der Weg hinüber zur anderen Seite wurde von einer menschlichen Mauer versperrt, die johlend und applaudierend einem Festzug der Harlekine beiwohnte. Wild fuchtelten die Narren mit brennenden Fackeln, spuckten Feuer und führten Kunststückchen auf.
Aurelia und ihre Begleitung verharrten, beobachteten das ausgelassene Treiben. Schließlich zupfte sie an seinem Ärmel, woraufhin sie dem Schauspiel den Rücken kehrten. Geduldig bahnten sie sich einen Pfad durch die Menschenmenge, trieben mit dem zähflüssigen Strom der Leiber inmitten eines Meeres aus Kostümen und Masken in Richtung der Kathedrale.
Jemand stieß gegen ihre Schulter, und sie spürte einen schmerzhaften Stich durch ihren Arm schießen. Scharf die Luft einziehend warf sie einen Blick über die Schulter.
Eine düstere Gestalt mit einem schwarz befiederten Schulterüberwurf starrte sie an. Still zwischen den Menschen verweilend, vollkommen unbeteiligt wirkend. Langsam wanderte die Hand zum Kopf und ergriff die Maske. Ein
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