WELTENTOR 2013 - Fantasy (German Edition)
Während sie röchelnd darum kämpfte, wieder auf die Beine zu kommen, vernahm sie die entsetzten Schreie des Mannes, als die Bestien über ihn herfielen. Abrupt verebb -ten sie, und sie war sich bewusst, dass außerhalb dieser Gasse niemand selbst den markerschütterndsten Schmerzensschrei gehört haben konn-te.
Leicht benommen rappelte sie sich auf. Eine warme Flüssigkeit rann ihr über das Gesicht und nahezu beiläufig wischte sie sie fort. Bestürzt betrachtete Aurelia die blutbesudelte Hand. Dann fielen ihr die unend -lich vielen tiefroten Flecken auf ihrem Kleid auf. Ihr Blick wanderte weiter und fand ihren Umhang, zerfetzt im Rinnstein liegend.
Eine Handvoll Augenpaare richteten sich auf Aurelia. Überdeutlich flackerten Blutgier und Mordlust in ihnen – doch die Dämonen ver-harrten. Ihr schwante, dass man sie nicht einfach so in Fetzen reißen wollte wie ihre Begleitung. Ihr würden sie weitaus grausigere Dinge antun, sie langsam in Stücke schneiden und bei lebendigem Leibe verschlingen, während sie schreiend um einen schnellen Tod bettelte. Doch vorher erwartete sie eine Hetzjagd.
Ihre Hände ballten sich zu Fäusten. Sie wirbelte herum und lief auf die Straße. Blutüberströmt erntete sie allenfalls einige irritierte Blicke, nie -mand sah sich jedoch dazu auserkoren, ihr zu helfen. Keuchend hastete sie durch die Menge, und abermals verschwammen die Farben und Konturen zu einem breiigen Matsch. Einst vergnügt grienende Masken verhöhnten sie nun, lachten sie aus, ebenso die Harlekine, die statt Hilfe nur ihren Spott anboten.
Orientierungslos wanderte sie umher, ließ sich blind im Strom treiben. Wenn sie ihre Augen schloss, spielte sich der entsetzliche Vorfall in ihrem Kopf erneut ab, wieder und wieder, bis er schließlich nur wie ein Bild in einem Buch wirkte – unwirklich, weit entfernt, als sei man nur ein unbeteiligter Beobachter.
Aurelia blinzelte. Aus dem wogenden Strom war sie wie Treibgut in eine Seitengasse gespült worden. Von einem düsteren Trieb beseelt stolperte sie voran, gehorchte den finsteren Einflüsterungen, die ihr befahlen, ins Dunkel zu gehen. Eine Kältewoge flutete die Gasse. Sie begann zu rennen. Immer tiefer hinein in die Gasse, eine Biegung nach der nächsten, beharrlich immer tiefer hinein in die Dunkelheit.
Vor ihr tat sich eine Wand auf. Sackgasse. Keine Fenster, keine wach -samen Augen, lediglich ein hell erleuchteter Himmel. Eingekerkert in einer kleinen Welt aus Dunkelheit und Gestein würden sich Monster ungesehen bewegen und Schreie ungehört verklingen. Hinter sich spürte sie die Kreaturen nahen, roch sie, zählte mindestens fünf ver-schiedene Bestien allein anhand ihrer stampfenden Schritte. Sie gaben sich keinerlei Mühe, ihr Kommen zu verschleiern. Sie wollten, dass sie es hörte. Sie wollten, dass sie sich fürchtete.
Aurelia drehte sich um. Der Lichtblitz einer Rakete vertrieb die Fins -ternis. Für Sekundenbruchteile schälten sich verdrehte Geschöpfe aus einem See flüssiger Schwärze. Jenes Wesen mit dem verunstalteten Kiefer baute sich zu voller Größe auf und trat ihr entgegen.
Dämonisches Gelächter erklang.
Aurelia schaute auf ihre Hände. Sie zitterten. Sie erbebte am gesamten Leib. Tief durchatmend, sich dazu ermahnend, nicht die Selbstbeherr-schung zu verlieren.
„Nun haben wir dich, kleines, zartes, hilfloses Mädchen“, säuselte das Geschöpf, wobei klebrige Speichelfäden zwischen den Dornenzähnen troffen. „Entkommen kannst du uns nicht, kleines, zartes, hilfloses Mädchen.“ Mehr als zwei Meter messend beugte es sich mühelos über Aurelia und öffnete seinen Schlund. Es schnaufte erregt, in den orange-farbenen Augen blitzte eine unbändige Lust am Quälen. „Bettel um dein Leben, kleines, zartes, hilfloses Mädchen.“
„Vergnüge dich nicht allein mit ihr“, seufzte der Dämon mit dem gespaltenen Gesicht und gesellte sich an dessen Seite. „Ich habe sie gefunden, also darf ich zuerst mit ihr spielen.“ Lüstern streckte er die Hand nach ihr aus.
Angewidert tat Aurelia einen Schritt nach hinten. „Wagt es ja nicht, mich anzufassen! Ich rate euch, eure minderwertige Maskerade wieder anzulegen und zu verschwinden!“
„Kleines, zartes, hilfloses, widerspenstiges Mädchen“, grollte das andere Geschöpf. „Du solltest nicht gegen uns aufbegehren! Bettel um dein Leben! Bettel!“ Er holte mit seiner Pranke aus und schlug zu, wobei er ihr die Maske vom Gesicht riss.
Blut quoll aus einem Kratzer oberhalb ihrer
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