WELTENTOR 2013 - Fantasy (German Edition)
sich ein Zubrot, indem sie einen Teil der Zimmer in dem großen Haus vermietete. Und den Dachboden, an Leute wie ihn.
Emil schüttelte das Stroh vom Leinentuch, das ihm nachts als Bett -decke diente und wickelte sich darin ein. Barfuss verließ er die Dach-kammer. Ohne Licht tappte er über den Boden, bis zur Rückseite des Hauses. Dort gab es eine Giebelluke, durch die man früher, als dies noch ein Kontor gewesen war, die Waren auf den Dachboden, gehievt hatte. Die geschäftstüchtige Witwe hatte eine steile Stiege draußen an der Hauswand anbringen lassen, über die man die Dachkammer errei-chen konnte.
Unten schlüpfte er durch die Waschküche in die Küche. Sie war leer, aber im Ofen brannte ein warmes Feuer. Er zog am Klingelknopf und stellte sich neben den Herd.
„Ich hoffe du bist nicht nackt unter der Decke!“, keifte die Witwe, auch wenn ihre Augen etwas anderes sagten.
„Ich brauche Seife “, stotterte Emil erschrocken.
Die Alte schlich wie eine Katze durch ihr Haus. Sie hatte ihn schon mehr als einmal erschreckt. „Was will einer wie du mit Seife?“, frage sie betont abfällig.
„Meine Sachen waschen “, entgegnete Emil wahrheitsgemäß, aber wenig schlagfertig.
Einen Moment lang musterte die Witwe ihn kritisch. „Vielleicht habe ich einen besseren Vorschlag.“ Sie schloss die Tür und winkte ihn an den Ofen. „Du frierst ja. Setz dich da hin.“
Mit einem mulmigen Gefühl kam Emil der Aufforderung nach und setzte sich auf den flachen Schemel, neben den bullernden Ofen. Die Wärme tat ihm gut, trotzdem blieb er auf der Hut. Das Glitzern in den Augen der Witwe gefiel ihm nicht.
„Ich kann deine Sachen für dich waschen.“ Sie bewegte ihre Zunge im Mund hin und her, so dass es aussah als versuchte ein kleines Tier daraus zu fliehen.
„Was kostet mich das?“
„Kein Geld!“
Emils Herz klopfte, trotzdem wartete er schweigend auf ihr Angebot.
„Ich brauche Vorhänge für die Zimmer in der oberen Etage.“
Wieder stülpte die Zunge eine ihrer faltigen Wangen nach außen.
„ Etwas Hübsches. So wie es die Patrizierfrauen haben.“
Erleichtert atmete Emil aus. Vorhänge nähen fiel ihm nicht schwer.
„Den Stoff habe ich schon“, fuhr die Witwe fort. „Aber die Schneider sind zu teuer.“
Die obere Etage hatte zwei große und drei kleine Fenster. Im Kopf überschlug Emil wie viel Zeit er brauchte, um einfache Vorhänge zu nähen. Schon das überstieg den Gegenwert zum Waschen seiner paar Kleidungstücke.
„Was ist?“ Ungeduldig stupste sie ihn am Arm. „Ist dir das zu schwie-rig, Bönhase? Dann sag es mir lieber gleich, ehe du mir den Stoff ver-saust.“
„Das ist viel Arbeit“, antwortete er ehrlich. „Die ist mehr wert als eine gewaschene Hose und ein Wams.“
„Dann versuch jemanden zu finden, der dir mehr dafür bezahlt.“
Er dachte an seinen Zusammenstoß mit den Zunftgesellen. Im Augen-blick war es am besten, wenn er sich draußen ein paar Tage nicht sehen ließ. Ganz zu schweigen davon, dass er kaum in Unterhosen um Kunden werben konnte. Aber er musste auch essen. Wenigstens das.
„Dafür brauche ich mehrere Tage und von Wasser allein kann ich nicht leben.“
Das Wasser aus der Regentonne gestand sie ihm kostenlos zu.
„Solange d u an meinen Vorhängen nähst, bringe ich dir was zu essen.“ Mit einem geschäftsmäßigen Lächeln fügte sie hinzu: „Zweimal am Tag.“
Die Witwe Hasknecht hielt Wort. Zweimal am Tag brachte sie ihm etwas zu essen. Am Morgen bekam er ein paar Stücke Brot vom Vortag und am Nachmittag eine warme Mahlzeit, von den Speisen, die von den anderen Gästen übrig geblieben waren. Dinge, die sie normalerweise an ihre drei Schweine verfütterte. Aber Emil war es recht. Er hatte schon schlechter gegessen. Meistens sogar. Außerdem konnte er hier, in der stillen Dachkammer, als Schneider arbeiten, ohne Gefahr von der Zunft erwischt zu werden.
Zufrieden fädelte er einen neuen Faden ein und nahm das nächste Stück Stoff zur Hand. Der dunkelgrüne Damast mit dem aufgestickten Muster war von guter Qualität. Kein Wunder, dass Frau Hasknecht sich um seine Arbeit sorgte. Am ersten Tag war sie ununterbrochen in se iner Kammer aufgetaucht und hatte ihm auf die Finger gesehen, bis er gegen Abend den ersten der kleinen Vorhänge fertig hatte. Sie war begeistert, hatte ihm sogar eine süße Birne geschenkt. Er schmatzte bei dem Gedanken an das saftige Obst. So etwas bekam er wirklich nicht oft.
Schritte auf der Treppe lenkten ihn ab, aber
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