WELTENTOR 2013 - Fantasy (German Edition)
die Panik. Genug, dass ihm die Sinne schwanden.
War er ertrunken und im Himmel? Jedenfalls hörte er eine liebliche Stimme ein Lied summen und er lag in eine weiche Decke gehüllt da. Außerdem war es warm und roch nach saurem Bier.
Bier? Sein Kopf drehte sich noch immer. Gab es im Himmel Bier? Aber diese Stimme konnte nur einem Engel gehören. Er zwang sich die Augen zu öffnen. Im ersten Moment sah er nur Schemen und das Licht flackerte, dann roch er Rauch.
„Etzel!“, rief die Stimme, die jetzt gar nicht mehr nach einem Engel klang. „Ich glaube das Bürschchen wacht auf.“
Der Boden unter seinem Bett wankte, dann beugte sich ein Golem über ihn. Mit einem Aufschrei fuhr Emil hoch. Das war kein Albtraum! Der Golem stand wirklich da. Ein Riese, mit einem kahlen Kopf und Schuppen. Emil keuchte entsetzt. Der Engel war auch kein Engel, sondern eine einäugige, dicke Frau mit Kopftuch und schrillem, buntem Kleid.
„Ohne Zweifel, er lebt.“ Der Golem verzog seinen Mund zu einem Grinsen und deutete mit einer qualmenden Tabakspfeife auf Emil. „Was für eine blöde Idee, in den Abwässern der Gerber zu schwim-men.“
„Ich lebe “, stotterte Emil verwirrt.
„Kann man sagen “, schmunzelte der Golem mit einer sehr mensch-lichen Stimme. „Aber nur weil unsere Adelgard den Mut hatte, bis zur Hüfte in der giftige Brühe vom Gerberkanal zu waten und dich nah genug ans Ufer zu bugsieren, damit ich dich raushieven konnte. Und dann hat meine Carmen hier, dir das Gift aus der Lunge gedrückt.“
Wohl eher gequetscht, so wie sich sein Brustkorb anfühlte. Er konnte von Glück sagen, wenn keine Rippe gebrochen war. Wenigsten klärte sich sein Kopf so weit, dass aus dem Golem ein Mann wurde, dessen Gesicht die Schuppenflechte entstellt hatte.
„Wo bin ich hier?“
„Du hast die Ehre dich unter Künstlern, Sängern, Dichtern und Artis -ten zu befinden oder kürzer, in Väterchen Etzels wundersamem Wander-zirkus .“ Seine Arme vollführten eine Geste, als ob er einen König und sein Gefolge vorstellte. „Etzel, bin übrigens ich.“
„Dann habt ihr mich gerettet?“
Etzel schmunzelte und tat einen tiefen Zug aus seiner Pfeife. „Eigentlich war das unsere Tochter.“
Mühsam rappelte er sich auf und registrierte, dass er nackt war.
„Wo sind meine Sachen?“ Die Angst um sein Werkzeug ließ seine Stimme schrill klingen.
„Sie trocknen draußen am Feuer.“ Carmen, die bisher halb hinter Etzel verborgen gestanden hatte, schob ihn zur Seite und reichte ihm sein Kästchen und die Geldböse. Emil öffnete das Kästchen und nahm seine Werkzeuge heraus. Es war alles da. Nass, aber intakt. Erleichtert sank er in das weiche Kissen zurück.
„Danke!“, murmelte er mit Tränen in den Augen.
„Dein Geld!“ Carmen hielt ihm die Börse hin, aus der das Wasser triefte. „Immerhin über zwei Schillinge.“
„Nicht wichtig “, schluchzte Emil und rieb seine Werkzeuge liebevoll trocken. Stück für Stück legte er sie ins Kästchen zurück.
„ Bleib doch bei uns.“ Claudius hinkte zu der Staffelei, die seine Bild-bögen hielt, mit deren Hilfe er den Zuschauern Geschichten erzählte.
„Ich bin doch kein Künstler und kann auch sonst nichts von dem, womit ihr euer Geld verdient.“
„Du irrst dich“, sagte Carmen, ohne aufzusehen.
Sie saß im Zentrum der kleinen Gemeinschaft am Lagerfeuer und rüh rte mit einem langen Löffel in einem Topf. Eine Suppe mit viel Gemüse und etwas Fleisch. Es roch verlockend und lenkte Emil für einen Moment von seinen Problemen ab.
„Unsere Kos tüme müssen ausgebessert werden“, fuhr Carmen fort. „Und von Zeit zu Zeit, brauchen wir Neue.“
Nähen für Zirkusleute? Das war nicht sein Traum gewesen, als er seine Mutter verließ. In die Stadt wollte er gehen. Sich einer Zunft anschlie -ßen und ein ehrbarer Schneidergeselle werden. Vielleicht sogar einmal ein Meister mit eigener Werkstatt.
Er erinnerte sich noch gut an das verzagte, halb schmerzvolle Lachen seiner Mutter, als er ihr von se inen Plänen erzählte. Heute kannte er den Grund. Er war ein Bankert! Das uneheliche Kind einer Magd. Und nicht einmal der Bastard eines edlen Herrn. Nein! Sein Vater war ein Schafhirte, der hin und wieder ins Dorf kam. So einen Wechselbalg nahm keine Gilde auf, wie gut auch immer seine Arbeit war.
Sein Blick wanderte durch das Lager, schaute den Gauklern zu, die ihre Kunststücke einübten oder an ihren Werken arbeiteten. Zuletzt blieben sie an Adelgard hängen. Der stummen
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