WELTENTOR 2013 - Fantasy (German Edition)
Schneefuchs zwei Kinder, deren Fußstapfen vom schneidenden Luftzug verweht wurden, kaum dass sie in den Schnee gesetzt worden waren. Sie liefen nebeneinander, anstatt sich eng um-schlungen gemeinsam gegen die lebensbedrohliche Kälte zu wehren. Auch wenn sie in lange Mäntel gehüllt waren und ihre Hände in dicken Handschuhen steckten, würden sie wohl kaum die nächsten Stunden überleben, geschweige denn die kommende Nacht.
Der Fuchs wusste, dass sie nicht mehr lange zu leben hatten, es sei denn, sie würden ihr Ziel finden und rechtzeitig erreichen. Aber die Kinder liefen schon geraume Zeit im Kreis und so würden sie nur den Tod finden und nicht das, wonach sie suchten.
Noch hatten die Kinder ihn nicht entdeckt. Kein Wunder, denn außer seiner schwarzen Stupsnase und den blauen Pupillen verriet nichts seine Anwesenheit. Eines der Kinder stolperte und fiel in den Schnee, wäh-rend das andere unbeirrt weiterging und seinen Gefährten keines Blickes würdigte.
Genau danach suchte der Fuchs. Vorsichtig, wie man es von einem Fuchs erwartete, näherte er sich. Schließlich hatte er schon oft genug erlebt, wie ein zu forsches Vorgehen einen Besucher dieser Gegend verschreckt und jegliche Zusammenarbeit zunichte gemacht hatte. Lautlos setzte er eine Pfote vor die andere und trappelte den Hügel hinab. Nicht weit von ihm entfernt, stand das am Boden liegende Kind wieder auf, klopfte sich den Schnee von der Kleidung und schloss mühsam zu seinem Begleiter auf. Der Fuchs folgte den beiden, hielt jedoch gebührenden Abstand. Lieber wollte er noch etwas abwarten, schließlich hatte er Zeit, um nicht zu sagen – alle Zeit der Welt.
Aber so lange würde es bei den Kindern nicht mehr dauern. Ein ums andere Mal sah der Fuchs, wie eines stolperte oder sich eine kurze Ver -schnaufpause gönnte. Und während das eine Kind immer auf seinen Begleiter wartete, ging das andere Kind im umgekehrten Fall unbeirrt weiter. Ein komisches Paar, dachte der Fuchs. Aber so wie die Lage aussah, genau das richtige Pärchen für seinen Plan.
Wieder fiel eines der Kinder auf den eiskalten Boden. Langsam aber sicher ist der Zeitpunkt gekommen, dachte der Fuchs, während das zweite Kind zurückkehrte und seinem Gefährten auf die Beine helfen wollte. Doch dieses schlug den helfenden Arm zur Seite und stand alleine auf. Ja, es wird Zeit zu handeln, dachte der Schneefuchs und lief auf die Kinder zu.
„Komm, Helgin! Wir müssen weiter“, sagte das eine Kind.
„Lass mich! Ich brauche deine Hilfe nicht, Wulf“, antwortete das and ere Kind.
Aus seinen Augen sprach der blanke Hass, als der Junge aufstand. Doch als er sich aufgerappelt hatte, sah er den Schneefuchs vor sich, der in aller Seelenruhe vor ihnen saß.
„Ksch!“, sagte Helgin und machte eine unwirsche Handbewegung.
Der Schneefuchs blieb unbeirrt sitzen. Helgin näherte sich dem Fuchs und wollte ihm einen Tritt verpassen, doch Wulf hielt ihn gerade noch davon ab. „Lass das Tier in Ruhe! Es hat bestimmt genauso Hunger wie wir“, sagte Wulf und hielt Helgin am Arm zurück.
„Eine weise Entscheidung“, sagte der Schneefuchs.
Die Jungen schauten sich ungläubig an.
„Nur keine Scheu, meine Kinder. Selbst in der unendlichen Weite aus Schnee und Eis gibt es Dinge, die ihr noch nie zuvor gesehen habt.“
„Wer bist du?“, fragte Helgin. Trotz klammer Finger holte er sein Schwert aus der Scheide und hielt es zwischen sich und den Schnee-fuchs.
„Du bist ein Mann der Tat, wie ich sehe und immer auf der Hut. Das gefällt mir.“
„Was willst du von uns?“ Helgins Stimme zitterte, weniger aus Angst, denn vor Kälte. Auch wenn er es nie im Leben zugegeben hätte, war er nahezu am Rande seiner Kräfte. Nicht umsonst war er mehr als einmal gestürzt und hatte sich nur mit Mühe wieder aufrappeln können. Aber um nichts in der Welt hätte er sich von Wulf helfen lassen wollen. Niemals. Schließlich waren sie Gegner, die Besten ihres Dorfes und nur einer von ihnen sollte als Sieger aus diesem Wettkampf hervorgehen. Alle anderen Entscheidungen, das Bogenschießen, der Wettlauf, der Lanzenwurf und der Axtwurf hatten zu einem Unentschieden geführt, wie es noch nie vorgekommen war. Deshalb dieser Marsch bis an den Rand der Welt. Nichts würde ihn davon abbringen, sein Ziel zu errei-chen: den Baum am Ende der Welt.
„Wirklich mein Junge, du bist jemand nach meinem Geschmack. Gleich zur Sache kommen, keine Zeit verschwenden und immer auf der Hut. Aber wollt ihr nicht erst einmal
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