Weltkrieg der Waehrungen
Millionen stark nach anderen, allein in der Hauptstadt Peking wird die Zahl der Wanderarbeiter auf fünf Millionen taxiert.
Sie stammen aus Provinzen wie Sichuan, Henan, Jiangxi, Shandong oder Anhui, wo sie als Landbewohner wenig Chance haben, ihren als gerecht empfundenen Teil am groÃen Wohlstand des Landes abzubekommen. Bisher hat ihre Integration in den Arbeitsmarkt leidlich funktioniert. Doch läuft die Wachstumsmaschine eines Tages nicht mehr auf vollen Touren, droht ein Entwicklungsbruch: Ein Mangel an freien Stellen â das wäre sozialer Sprengstoff für eine Nation, die sich seit den Tagen Deng Xiaopings über wirtschaftliches Wachstum definiert hat. Bei ausländischen Investoren herrscht bereits ein gehöriges Maà an Skepsis. Eine Umfrage der Finanzagentur Bloomberg ergab bereits 2011, dass 59 Prozent der Investoren damit rechnen, dass die Expansionsrate bis 2016 auf weniger als fünf Prozent zurückgehen wird. Fünf Prozent aber würden sich in China wie eine Rezession anfühlen. Die Einschätzung der Experten scheint sich zu bestätigen. Beim Volkskongress in März 2012 gab Ministerpräsident Wen Jiabao für das laufende Jahr nur noch ein Wachstumsziel von 7,5 Prozent aus â der niedrigste Wert seit acht Jahren.
Die Landflucht ist nur Teil eines gröÃeren Problems. Die Volksrepublik steht vor einer ernst zu nehmenden demografischen Herausforderung, die starke Rückwirkungen auf ihre Gesellschaft haben wird. Als Folge der Ein-Kind-Politik droht dem Land ein ökonomischer und gesellschaftlicher Knick. Seit Ende der 70er-Jahre schrieb ein Gesetz vor, dass sich die Chinesen auf ein Kind pro Familie beschränken. Der damaligen politischen Führung ging es darum, den revolutionären Gefahren einer Bevölkerungsexplosion vorzubeugen. Auch wenn die Regel auf dem Land nie uneingeschränkt durchgesetzt wurde, stellt das die gesamten Familienstrukturen auf den Kopf. Die streng kontrollierte Bevölkerungsentwicklung ist eine der Grundlagen der ökonomischen Erfolgsgeschichten des Riesenreiches. Doch die wohltätige Wirkung wird sich bald ins Gegenteil verkehren. Denn als Folge der Ein-Kind-Politik wird die Arbeitsbevölkerung in Reich der Mitte schon ab 2014 zurückgehen.
Die Folgen reichen weiter. Die Ein-Kind-Politik wird auch dazu führen, dass künftig ein einziges Kind für die Eltern aufkommen muss, wenn sie in Rente sind. Die neueste amtliche Volkszählung, bezogen auf das Jahr 2009, weist 178 Millionen Chinesen aus, die älter als 60 sind. Diese Zahl dürfte bis Mitte des Jahrhunderts auf 437 Millionen Menschen anschwellen. Das entspricht einer Zweieinhalbfachung innerhalb von 40 Jahren. Allein bis 2025 wird das Land eine Zunahme der Rentner um 78 Prozent erleben. Eine rein familiäre Vorsorge dürfte unmöglich sein. Bis 2050 wird die Arbeitsbevölkerung zugleich um 233 Millionen auf 682 Millionen Menschen zurückgehen. 38 Das Reich der Mitte wird dann einen ähnlichen Balanceakt vollführen müssen wie auch bald die Länder Europas, nämlich die ältere Generation ausreichend zu versorgen, ohne die Jüngeren im Arbeitsleben finanziell über Gebühr zu belasten. Dem formell kommunistischen Land wird in den nächsten Dekaden nichts anderes übrig bleiben, als eine funktionstüchtige staatliche Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung aufzubauen. Dafür aber müssen Ressourcen abgezweigt werden, die Peking jetzt noch im groÃen Stil für Investitionen und ungehemmtes Wirtschaftswachstum nutzt.
Das Zeitfenster der überschnellen Wohlstandsexpansion wird sich in den kommenden Jahren schlieÃen. Schon in der nächsten Dekade ist die Demografie dem wirtschaftlichen Wachstum nicht mehr förderlich. Gelingt es China nicht, ein Wohlstandspolster aufzubauen, bevor die Kosten für medizinische Versorgung und Pflege der Ãlteren nach oben schnellen, könnte das Land Elend und soziale Spannungen erleben. China steuert dann auf ein einzigartiges historisches Schicksal zu: Es würde als erste Gesellschaft der Geschichte alt werden, ehe es reich geworden ist.
Die Frage ist, ob die Chinesen ihr Wachstumsmodell so weiterentwickeln können, dass es diesen Rückgang der Bevölkerung im normalen Erwerbsalter ausgleicht. Demografie ist keineswegs ein unentrinnbares Schicksal. Technologie ermöglicht es zum Beispiel, die Wertschöpfung zu steigern, selbst wenn die Zahl der
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