Weltraumpartisanen 26: Ikarus, Ikarus...
den Beton mit der Sanftheit eines fallengelassenen Kohlesacks. Ich nahm mir gerade noch die Zeit, alles auf Null zu schalten, bevor ich Lieutenant Stroganow antrieb.
„Raus hier! Kommen Sie, kommen Sie!“
Wir verließen das Schiff und stolperten keuchend über das Gelände. Die Schleuse war zum Glück nicht zu verfehlen. Als wir hindurch waren, entriegelten wir die Visiere, klappten sie hoch und pumpten uns voll mit belebender Luft.
Stroganow hielt mir plötzlich die Hand hin.
„Willkommen in der Herberge zum Zweiten Leben, Sir“ sagte er.
Der Grubendirektor erschien persönlich, um uns in Empfang zu nehmen. Er machte uns auf die Absperrung des Zubringerstollens Anton 1 aufmerksam - „Bis jetzt sind es nur Risse, aber ich würde ihm nicht trauen. Irgendwann wird er einstürzen!“ - und ging uns wegweisend voraus durch einen offenbar in aller Eile geschaffenen niedrigen und schmalen Durchbruch: ein liebenswürdiger und kultivierter Herr mit den altmodisch wirkenden Manieren eines britischen Landedelmannes.
Die Unterkunft, die Dr. Hamilton uns hatte einräumen lassen, war warm und hell. Er entschuldigte sich für ihre Enge.
„Sie werden verstehen, meine Herren, der Ikarus ist kein Hotel. Aber für eine Übernachtung oder zwei mag das genügen… oder ich müßte die Herren vom Findorff-Team darum bitten, eine von ihren Kabinen herzugeben.“
Ich versicherte ihn, daß dies nicht nötig sei, und er schickte sich an, uns allein zu lassen.
„Ich nehme an“, sagte er, „Sie würden es begrüßen, sich zunächst einmal zu erholen.“
Die Versuchung war in der Tat gewaltig, doch als ich Lieutenant Stroganow einen fragenden Blick zuwarf, schüttelte er den Kopf.
„Wenn’s Ihnen recht ist, Sir, würde ich mich lieber gleich an die Arbeit machen.“
Man durfte sich nicht dadurch täuschen lassen, daß sich Stroganow den Jahren näherte, in denen manch einer an seine Pensionierung denkt. Der sibirische Tigerjäger mochte graue Haare bekommen haben
- aber sein Auge war noch klar, der Zugriff seiner Hand hart und fest, sein Wille ungebrochen.
Dr. Hamilton bot uns seine Unterstützung an.
„Verfügen Sie über mich!“ sagte er. „Sollten Sie technisches Gerät benötigen - Licht, Strom, Luft, Werkzeug -; brauchen Sie sich nur an mich zu wenden. Und nehmen Sie auch keine Rücksicht auf meine Nachtruhe! Ich glaube nicht, daß ich in den nächsten Stunden ein Auge zumachen werde… Die Verlagerung ist ein Ereignis, das man nicht verschlafen möchte.“
Nachdem wir uns in der Kantine gestärkt hatten, krempelten wir uns die Ärmel hoch. Zunächst mussten die Voraussetzungen für die Demontage des Aufbereiters geschaffen werden. Wir benötigten ein fahrbares Gerüst, ferner eine raumtüchtige Schlauchverbindung, um das Schiffsinnere mit Luft und Wärme zu versorgen, und Strom.
Ich telefonierte mit dem 2. Ingenieur - die Planstelle des ersten Ingenieurs war auf dieser Umrundung unbesetzt geblieben -; und Ivan Addams sagte, er stünde binnen kurzem zu unserer Verfügung.
Als wir die Kantine verließen, verwechselten wir in der uns ungewohnten Umgebung die Richtung und standen plötzlich vor dem erleuchteten Schaltraum, in dem das Findorff-Team damit beschäftigt war, mit Hilfe der Außenkameras die Polarstern-Sirius-Achse einzumessen. Ich winkte ihnen zu, und Douglas und Bubnitsch erwiderten meinen Gruß mit einem knappen Kopfnicken.
Stroganow und ich schienen nicht eben willkommen zu sein.
Doch dieser Eindruck verlor sich, als Gumboldt uns bemerkte und herankam. Das Gesicht, das er dabei machte, war das eines Mannes, der ein Leben lang nur darauf gewartet hatte, uns die Hand zu quetschen.
„Brandis, Sie haben sich den falschen Tag ausgesucht! Sie sehen, ich habe alle Hände voll zu tun, um den Fahrplan nicht platzen zu lassen.“
Der „Fahrplan“, ein gegenläufiger Countdown der Gravitationen, war elektronisch eingeblendet. Noch dominierte das Schwerefeld des Merkurs - aber mit jeder Stunde, die der Ikarus auf seiner exzentrischen Bahn weiterwanderte, wurde dieser G-Wert geringer, jener der Sonne absoluter. Einen Zustand völliger Ausgewogenheit oder reiner Sonnendominanz würde es nicht geben; das war nach den physikalischen Gesetzen nicht möglich. Schon hielt sich die massive Venus bereit, um für den Merkur in die Bresche zu springen. Die Bezeichnung „gravitatorischer Nullpunkt“ ist in gewisser Weise irreführend; sie kennzeichnet den kurzen Augenblick der gravitatorischen
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