Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wen der Rabe ruft (German Edition)

Wen der Rabe ruft (German Edition)

Titel: Wen der Rabe ruft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
Vom Netzwerk:
holte aus.
    Er beherzigte fast nichts von dem, was Ronan ihm eingebläut hatte, aber immerhin dachte er daran, den richtigen Punkt zu fixieren, und das allein reichte, und vielleicht noch etwas Glück, um die Pistole in hohem Bogen in den Schotter am Straßenrand segeln zu lassen.
    Whelk bellte einen wortlosen Schrei heraus.
    Beide hechteten nach der Waffe. Gansey stemmte sich auf ein Knie und trat blindlings zu. Er hörte, wie sein Fuß auf einen Widerstand traf. Zuerst Whelks Arm, dann etwas Härteres. Die Pistole schlitterte in Richtung der hinteren Autoreifen und Gansey flüchtete sich krabbelnd auf die andere Seite des Camaros. Bis hierher reichte das Licht von Whelks Scheinwerfern nicht. Sein einziger Gedanke war, Deckung zu finden, sich lautlos in der Dunkelheit verborgen zu halten.
    Auf der anderen Seite des Wagens war alles still. Bemüht, seinen keuchenden Atem zu beruhigen, legte Gansey die Wange an Pigs warmes Blech. Sein Daumen, mit dem er die Pistole getroffen hatte, pochte.
    Nicht atmen.
    Am Straßenrand fluchte Whelk, wieder und wieder. Der Schotter knirschte, als er sich neben das Auto kniete. Er fand die Waffe nicht. Er fluchte abermals.
    In der Ferne dröhnte ein Motor. Ein Auto, das womöglich in ihre Richtung kam. Ein Retter, oder zumindest ein Zeuge.
    Einen Augenblick lang blieb Whelk vollkommen still und dann, plötzlich, stürmte er los und seine Schritte verklangen in Richtung seines Wagens.
    Mit eingezogenem Kopf spähte Gansey unter Pigs Rumpf hindurch, in dem es leise tickte, während der Motor abkühlte. Zwischen den Hinterreifen sah er die schmale Silhouette der Pistole, erleuchtet von Whelks Scheinwerfern.
    Er war nicht sicher, ob Whelk endgültig aufgeben hatte oder bloß eine Taschenlampe holen ging. Gansey wich weiter rückwärts ins Dunkel zurück. Dort wartete er ab, seinen hämmernden Herzschlag in den Ohren, während lange Grashalme ihn an der Wange kitzelten.
    Whelks Auto raste los, fort in Richtung Henrietta.
    Direkt danach fuhr der andere Wagen vorbei. Der Fahrer bemerkte nichts.
    Gansey lag noch lange in dem zugewucherten Graben am Straßenrand, lauschte auf das Surren der Insekten in den Bäumen ringsum und Pigs Seufzer, während der Motor sich beruhigte. Sein Daumen, mit dem er die Pistole getroffen hatte, fing allmählich wirklich an zu schmerzen. Natürlich war er noch glimpflich davongekommen. Aber trotzdem. Es tat weh.
    Und sein Notizbuch. Er fühlte sich wie verwundet: Die Aufzeichnungen seiner sehnlichsten Wünsche waren ihm gewaltsam entrissen worden.
    Als Whelks Wagen nicht zurückkam, rappelte Gansey sich auf und ging um den Camaro herum. Er kniete sich hin und kroch so weit wie möglich unter das Auto, bis er mit seinem heilen Daumen die Waffe zu sich heranziehen konnte. Mit spitzen Fingern sicherte er den Abzug. In seinem Kopf hörte er Blues Worte von dem Tag, an dem sie Noahs Leiche gefunden hatten: »Fingerabdrücke!«
    Mit traumwandlerischer Ruhe öffnete Gansey die Autotür und warf die Pistole auf den Beifahrersitz. Mit einem Mal schien der Abend ein anderer zu sein, das Auto ein anderes, Gansey ein anderer Mensch als der, der das Haus seiner Eltern verlassen hatte.
    Er schloss die Augen und drehte den Schlüssel im Zündschloss.
    Pig hustete sich die Seele aus dem Leib, schließlich aber erwachte der Motor zum Leben.
    Er öffnete die Augen. Nichts an diesem Abend sah mehr so aus wie zuvor.
    Er schaltete die Scheinwerfer ein und ließ den Wagen zurück auf die Straße rollen. Dann trat er ein paarmal probeweise aufs Gas, um den Motor zu testen. Er lief, ohne zu stottern.
    Gansey beschleunigte und raste zurück nach Henrietta. Whelk hatte Noah getötet und er wusste, dass er aufgeflogen war. Wo immer er als Nächstes hinfuhr, er hatte nichts mehr zu verlieren.

34
    B lue war nie eine große Freundin des Dachbodens gewesen, schon bevor Neeve sich dort eingenistet hatte. Die unzähligen schrägen Balken boten Dutzende Möglichkeiten, sich den Kopf zu stoßen. Die rauen Bodendielen, stellenweise mit splittrigem Sperrholz geflickt, waren nicht gerade barfußfreundlich. Im Sommer verwandelte sich der Raum in ein wahres Inferno. Und außer Staub und Wespen gab es dort oben normalerweise sowieso nichts zu sehen. Maura neigte absolut nicht zum Hamstertum und drehte alles, was nicht benutzt wurde, rigoros den Nachbarn oder der Wohlfahrt an. Es gab also wirklich keinen Grund, den Dachboden auch nur zu betreten.
    Bis jetzt.
    Da es spät geworden war, hatte Blue Ronan,

Weitere Kostenlose Bücher