Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wen der Rabe ruft (German Edition)

Wen der Rabe ruft (German Edition)

Titel: Wen der Rabe ruft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
Vom Netzwerk:
seltenes Gefühl von Ärger in ihm aufstieg, darüber, ein Teenager und an die Aglionby gefesselt zu sein. Ging es Ronan möglicherweise die ganze Zeit so?
    »Okay. Also müssen wir sie unterirdisch erreichen. Durch Höhlen vielleicht?«
    »Ach, Höhlen sind etwas Schreckliches«, erwiderte Malory. »Weißt du, wie viele Menschen jedes Jahr in Höhlen ums Leben kommen?«
    Gansey antwortete, das könne er nicht gerade behaupten.
    »Tausende«, versicherte Malory. »Das sind wahre Elefantenfriedhöfe. Immer schön an der Oberfläche bleiben, Höhlenforschung ist noch gefährlicher als Motorrad fahren. Nein, in dieser Quelle ging es mehr um die Suche nach einem Ritual, mit dem man die spirituellen Pfade von oben aus aufwecken und der Ley-Linie seine Anwesenheit mitteilen kann. Dafür müsstest du ihr quasi symbolisch die Hand auflegen, da drüben bei dir in Marianna.«
    »Henrietta.«
    »Texas?«
    Immer wenn Gansey mit Briten über Amerika redete, schienen sie zu glauben, er rede von Texas. »Virginia«, korrigierte er.
    »Ja, ja«, stimmte Malory fröhlich zu. »Denk nur, wie einfach es wäre, der Linie zu Glendower zu folgen, wenn sie laut rufen würde, statt nur zu flüstern. Du musst sie finden, das Ritual durchführen und dann folgst du ihr zu deinem König.«
    So wie Malory es sagte, klang es schier unvermeidlich.
    Dann folgst du ihr zu deinem König .
    Gansey schloss die Augen und versuchte, seinen Puls zu beruhigen. Das schummrige graue Bild eines ruhenden Königs war vor ihm aufgetaucht, die Hände über der Brust gefaltet, zur Rechten ein Schwert, zur Linken einen Pokal. Diese schlummernde Gestalt war geradezu lebenswichtig für Gansey, auf eine Weise, die er selbst nicht verstehen, geschweige denn erklären konnte. Es war einfach mehr, etwas Größeres, Substanzielleres. Etwas, das keinen Preis hatte. Etwas, das er sich verdient haben würde.
    »Leider drückt der Text sich nicht sehr klar aus, wie genau das Ritual durchgeführt werden muss«, gestand Malory. Er hob zu einem Diskurs über die Eigentümlichkeiten historischer Dokumente an, dem Gansey nur mit minimaler Aufmerksamkeit folgte, bis Malory mit: »Ich probiere es mal auf der Lockyer-Linie und sage dir dann Bescheid, wie es gelaufen ist«, schloss.
    »Super«, sagte Gansey. »Ich kann Ihnen gar nicht genug danken.«
    »Bestell deiner Mutter schöne Grüße von mir.«
    »Das ma…«
    »Du kannst von Glück sagen, dass du noch eine Mutter hast. Als ich in deinem Alter war, hatte das britische Gesundheitssystem meine schon dahingerafft. Eine kerngesunde Frau, bis sie mit einem winzigen Husten ins Krankenhaus kam …«
    Nur mit halbem Ohr lauschte Gansey Malorys gern wiederholter Geschichte darüber, wie die britische Regierung es versäumt hatte, den Rachenkrebs seiner Mutter zu heilen. Als sie sich schließlich verabschiedeten, wirkte Malory hochzufrieden.
    Mittlerweile war Gansey vom Jagdfieber gepackt; er musste jemandem davon erzählen, bevor das unvollendete Gefühl, das die Suche in ihm auslöste, ihn von innen auffraß. Dafür wäre eigentlich Adam der beste Kandidat gewesen, aber die Chancen standen besser, dass Ronan noch wach war, der wild zwischen Schlaflosigkeit und Schlafsucht hin und her pendelte.
    Auf halbem Weg zu Ronans Zimmer beschlich ihn plötzlich der Verdacht, dass er es leer vorfinden würde. Gansey blieb im Türrahmen stehen und flüsterte Ronans Namen in die Dunkelheit, dann, als keine Antwort kam, sagte er ihn laut.
    Ronans Zimmer war Sperrgebiet, doch Gansey betrat es trotzdem. Er legte die Hand aufs Bett und es war ungemacht und kalt, die Decke in aller Hast zur Seite geworfen. Gansey hämmerte mit der Faust an Noahs geschlossene Tür, während er versuchte, mit der anderen Ronans Nummer zu wählen. Es klingelte zweimal, bevor Ronans Mailbox ansprang, deren Text nur »Ronan Lynch« lautete.
    Gansey drückte die Stimme weg, bevor sie zu Ende gesprochen hatte. Sein Puls hämmerte. Er überlegte einen langen Moment, bevor er eine andere Nummer wählte. Diesmal war es Adam, der sich meldete, leise vor Müdigkeit und Argwohn. »Gansey?«
    »Ronan ist weg.«
    Adam schwieg. Ronan war schließlich nicht einfach so verschwunden, sondern nach einem Streit mit Declan. Doch sich mitten in der Nacht aus dem Haus der Parrishs zu schleichen, war kein leichtes Unterfangen. Die Konsequenzen, wenn man erwischt wurde, konnten körperliche Spuren hinterlassen und für lange Ärmel war es mittlerweile zu warm. Gansey hatte ein furchtbar

Weitere Kostenlose Bücher