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Wen der Rabe ruft (German Edition)

Wen der Rabe ruft (German Edition)

Titel: Wen der Rabe ruft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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Tochter dieser Wahrsagerin. Das fühlt sich alles irgendwie so bedeutend an. Ach, ich weiß auch nicht, was ich rede. Ich dachte, du, gerade du, würdest mir glauben.«
    »Ich weiß ja noch nicht mal, was du mich bittest zu glauben.«
    Ronan sagte: »Es fängt an, Mann.«
    Gansey verschränkte die Arme. Er konnte den dunklen Flügel der Wespe sehen, der sich gegen das Geflecht des Papierkorbs presste. Er wartete darauf, dass Ronan weiterredete, doch alles, was dieser noch hinzufügte, war: »Wenn ich dich noch mal so dicht bei einer Wespe erwische, dann kann sie dich meinetwegen umbringen. Kapiert?«
    Ohne auf eine Antwort zu warten, wandte er sich ab und ging zurück in sein Zimmer.
    Langsam hob Gansey seinen Schuh von der Stelle auf, wo Ronan ihn hatte fallen lassen. Als er sich wieder aufrichtete, sah er Noah, der aus seinem Zimmer geschlichen war und nun neben ihm stand. Sein ängstlicher Blick huschte von Gansey zum Papierkorb. Die Wespe war mittlerweile ein paar Zentimeter tiefer gerutscht, aber immer noch sichtbar.
    »Was?«, fauchte Gansey. Etwas in Noahs Blick erinnerte ihn an die panischen Gesichter, die ihn damals umringt hatten, als die Hornissen über seine Haut gekrabbelt waren, der Himmel über ihm tödlich blau. Vor langer, langer Zeit hatte er eine zweite Chance bekommen und seit Kurzem schien der Druck, etwas daraus zu machen, noch schwerer auf ihm zu lasten.
    Er wandte den Blick von Noah ab und sah durch die Wand aus Fenstern. Selbst jetzt kam es Gansey so vor, als spürte er die schmerzliche Gegenwart der nahen Berge, als wäre der Raum zwischen ihm und den Gipfeln etwas Greifbares. Das Gefühl war genauso qualvoll, wie er sich die Miene des schlafenden Glendower vorstellte.
    Ronan hatte recht. Es fühlte sich wirklich bedeutend an. Er mochte die Ley-Linie zwar noch nicht gefunden haben, oder zumindest nicht ihr Herz, aber irgendetwas ging hier tatsächlich vor sich, irgendetwas begann.
    Noah sagte: »Wirf es nicht weg.«

17
    E inige Tage später wachte Blue lange vor Sonnenaufgang auf.
    Ihr Zimmer war von den zackigen Schatten erfüllt, die das Nachtlicht im Flur warf. Wie in jeder Nacht seit der Sitzung drängten sich die Erinnerungen an Adams elegante Gesichtszüge und Ganseys gebeugten Nacken in ihre Gedanken, sobald der Schlaf seinen Griff lockerte. Blue konnte nicht anders, als den chaotischen Vorfall wieder und wieder in ihrer Vorstellung abzuspielen. Callas ominöse Antwort auf Ronans Frage, Adam und Ganseys Geheimsprache, die Tatsache, dass Gansey nicht bloß irgendein Geist auf dem Leichenweg war. Doch es waren nicht nur die Jungen, die sie beschäftigten, auch wenn die Wahrscheinlichkeit mittlerweile mehr als gering war, dass Adam sie jemals anrufen würde. Nein, was sie am meisten traf, war, dass ihre Mutter ihr etwas verboten hatte. Die Einschränkung zwickte wie ein zu enger Kragen.
    Blue warf die Decke von sich. Sie würde aufstehen.
    Sie hegte eine Art widerwilliger Zuneigung für die eigentümliche Bauweise des Fox Way, eine halbherzige Sympathie, die mehr aus Nostalgie entstanden war, als ein echtes Gefühl zu sein. Ihre Empfindungen dem Garten gegenüber aber waren keineswegs so verworren. Eine hohe, ausladende Buche breitete sich schützend über die gesamte Fläche. Ihre schöne, vollkommen symmetrische Krone reichte von einem Zaun zum anderen, so dicht, dass sie selbst dem heißesten Sommertag eine sattgrüne Tönung verlieh. Nur die heftigsten Regenfälle konnten das Laub durchdringen. Blue hatte einen ganzen Sack voll Erinnerungen daran, wie sie im Regen neben dem massigen, glatten Stamm stand und den Tropfen lauschte, die zischend, pochend und plätschernd im Blattwerk landeten, ohne je den Boden zu erreichen. Wenn sie unter der Buche stand, war es, als wäre sie selbst der Baum, als tropfte der Regen von ihren Blättern und ihrer Rinde, die sich weich wie Haut an ihre eigene schmiegte.
    Leise seufzend ging Blue nach unten in die Küche. Sie öffnete die Hintertür und benutzte beide Hände, um sie lautlos hinter sich zuzudrücken. Im Dunkeln wurde der Garten zu einer anderen Welt, schummrig und verschwiegen. Der hohe Holzzaun, überwuchert von einem Dickicht aus Geißblatt, hielt das Licht der benachbarten Terrassen ab, so wie die undurchdringliche Krone der Buche das Mondlicht abschirmte. Normalerweise musste sie ein paar Minuten abwarten, bis sich ihre Augen ans Dunkel gewöhnt hatten, aber heute nicht.
    Heute Nacht umgab ein unheimliches, unbeständiges Licht den

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