Wen der Rabe ruft (German Edition)
mal wieder gemäht werden. Stellenweise war der Asphalt kaum noch zu sehen.
»Ich hätte nicht gedacht, dass du noch anrufen würdest«, sagte Blue.
Offenbar hatte Adam nicht gedacht, dass Blue wirklich ans Telefon kommen würde, denn vor lauter Überraschung, ihre Stimme zu hören, fühlte sein Magen sich plötzlich vollkommen hohl an. Ronan grinste auf eine Weise, die er am liebsten mit einem Boxhieb auf seinen Arm quittiert hätte.
»Hatte ich doch gesagt.«
»Danke für die Blumen. Die sind wirklich schön.« Dann zischte sie: »Raus hier, Orla!«
»Da ist ja ziemlich was los bei euch.«
»Bei uns ist immer was los. In diesem Haus wohnen dreihundertzweiundvierzig Leute, die alle genau jetzt unbedingt in dieses Zimmer müssen. Was machst du heute?« Sie stellte die Frage ganz ungezwungen, als wäre es die normalste Sache der Welt, dass sie miteinander telefonierten. Als wären sie schon ewig befreundet.
Was es Adam leichter machte zu antworten: »Wir gehen auf eine Expedition. Willst du mitkommen?«
Ronans Augen weiteten sich. Egal, was sie jetzt sagte, das Telefonat hatte sich schon allein für den zutiefst schockierten Ausdruck auf Ronans Gesicht gelohnt.
»Eine Expedition? Wohin denn?«
Adam schirmte seine Augen mit der Hand ab und sah zum Himmel hinauf. Er meinte, Gansey kommen zu hören. »In die Berge. Wie stehst du zu Helikoptern?«
Es entstand eine lange Pause. »Wie meinst du das? Vom ethischen Standpunkt aus?«
»Als Transportmittel.«
»Sind schneller als Kamele, aber nicht so umweltverträglich. Wieso, kommt in deiner näheren Zukunft ein Helikopter vor?«
»Ja. Gansey will nach der Ley-Linie suchen und aus der Luft sind die normalerweise leichter zu entdecken.«
»Und selbstverständlich besitzt er einen Helikopter.«
»Er ist nun mal Gansey.«
Wieder entstand eine lange Pause, eine Denkpause, wie Adam vermutete, also unterbrach er sie nicht. Schließlich sagte Blue: »Okay, ich komme mit. Dann haben wir jetzt also ein … ja, was eigentlich?«
»Keine Ahnung«, antwortete Adam wahrheitsgemäß.
21
E s war erstaunlich leicht, Maura nicht zu gehorchen.
Maura Sargent hatte wenig Erfahrung mit Kindererziehung und Blue hatte wenig Erfahrung darin, erzogen zu werden, also hinderte sie nichts daran, Adam zuzusagen und sich von ihm zu Hause abholen zu lassen. Sie hatte nicht einmal ein schlechtes Gewissen, zumindest noch nicht, denn darin war sie ebenso ungeübt. Tatsächlich war das Erstaunlichste an der ganzen Situation, wie hoffnungsvoll ihr entgegen aller Erwartung zumute war. Sie widersetzte sich den Wünschen ihrer Mutter und traf sich mit einem Jungen. Mit einem Raven Boy. Eigentlich hätte ihr davor grauen müssen.
Allerdings war es auch ziemlich schwierig, Adam als Raven Boy zu erkennen, als er sie begrüßte, die Hände ordentlich in die Taschen gesteckt und den staubigen Duft gemähten Grases verströmend. Seine Prellung war nun schon ein paar Tage alt und wirkte noch furchterregender.
»Du siehst hübsch aus«, sagte er, als sie zusammen den Gehweg hinunterschlenderten.
Sie war nicht sicher, ob er das ernst meinte. Sie trug derbe Stiefel, die sie im Secondhandladen gekauft (und mit Stickgarn und einer sehr robusten Nadel traktiert) hatte, und ein Kleid, das sie sich vor ein paar Monaten aus verschiedenen Lagen grünen Stoffs – manche gestreift, manche gehäkelt, manche durchsichtig – selbst genäht hatte. Dagegen wirkte Adam sehr konservativ. Sie sahen, wie Blue mit einem unbehaglichen Gefühl aufging, wahrscheinlich kein bisschen wie ein Paar aus, sondern eher so, als wäre sie gerade dabei, Adam zu entführen.
»Danke«, antwortete sie und fragte dann schnell, bevor sie der Mut verließ: »Warum wolltest du eigentlich meine Nummer haben?«
Adam ging weiter, aber er sah sie immer noch an. Er hatte zuerst so schüchtern gewirkt, aber im Grunde war er das gar nicht. »Warum hätte ich das nicht sollen?«
»Versteh mich bitte nicht falsch«, sagte Blue. Ihre Wangen fühlten sich warm an, aber jetzt war sie schon mittendrin in diesem Gespräch und konnte nicht mehr zurück. »Jetzt denkst du nämlich bestimmt, ich fand das nicht gut, und so ist es gar nicht.«
»Okay.«
»Ich bin nicht hübsch. Zumindest nicht auf die Art, auf die Aglionby-Jungs zu stehen scheinen.«
»Ich gehe doch auch auf die Aglionby«, erwiderte Adam.
Aber Adam schien eben nicht so auf die Aglionby zu gehen wie andere Jungs.
»Ich finde dich hübsch«, sagte er.
Als er es aussprach, hörte
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