Wen der Rabe ruft (German Edition)
beschlossen, alles für Blue zu tun – was Adam ziemlich gestört hätte, wenn es nicht Noah gewesen wäre.
Blue gestattete Noah, ihre wirr abstehenden Haarsträhnen zu betasten, was Adam auch gern getan hätte. Doch er fürchtete, dass es bei ihm eine ganz andere Bedeutung annehmen würde.
»Okay, dann los«, sagte Gansey. Übertrieben dramatisch schlug er sein Notizbuch auf, blickte auf die Uhr und wartete, dass endlich jemand fragte, wohin es diesmal gehen würde.
»Wohin wollen wir?«, erkundigte sich Adam durch das offene Autofenster.
Gansey schnappte sich seinen Rucksack vom Boden. »In den Wald.«
Blue und Adam wechselten einen verblüfften Blick.
»Wir wollen doch«, sagte Gansey mit großartiger Geste, während er an ihnen vorbei zum Camaro schritt, »keine Zeit verschwenden.«
Blue sprang zurück, als Adam hastig aus dem Wagen stieg. »Wusstest du Bescheid?«, zischte sie ihm zu.
»Ich wusste gar nichts.«
»Wir müssen in drei Stunden wieder hier sein«, wandte Ronan ein. »Ich habe Chainsaw zwar gerade gefüttert, aber spätestens dann braucht sie wieder was.«
»Das«, erwiderte Gansey, »ist genau der Grund, warum ich kein Baby mit dir haben wollte.«
Mit entspannter Routine quetschten sie sich in den Camaro, obwohl es logischer gewesen wäre, den BMW zu nehmen. Ronan und Gansey rangelten kurz um den Schlüssel (Gansey gewann, denn er gewann einfach immer). Adam, Blue und Noah kletterten in genau dieser Reihenfolge auf die winzige Rückbank. Noah presste sich an seine Seite des Wagens, verzweifelt bemüht, Blue nicht zu berühren. Adam strengte sich nicht ganz so sehr an. Die ersten zehn Minuten des ersten Tages hatte Adam sich noch höflich zurückgehalten, aber es war rasch deutlich geworden, dass es Blue nicht störte, wenn sein Bein ihres streifte.
Was Adam nur recht sein konnte.
Alles war wie immer, doch aus irgendeinem Grund klopfte Adams Herz wie wild. Frische Frühlingsblätter, die ein plötzlich aufgekommener kalter Wind von den Bäumen gerissen hatte, wirbelten über den Parkplatz. Er sah Blues Gänsehaut durch ihre löchrig gehäkelte Strickjacke. Sie packte je eine Faustvoll von Noahs und seinem Hemd und zog daran, als könnte sie sich damit zudecken.
»Du fühlst dich immer so kalt an, Noah«, sagte sie.
»Ich weiß«, antwortete dieser niedergeschlagen.
Adam war nicht sicher, in welcher Reihenfolge solche Dinge bei Blue funktionierten: dass sie die Jungs erst wie Freunde behandelt und sie dann wirklich Freundschaft geschlossen hatten oder umgekehrt? Er fand, ihre Art, Beziehungen wie in einem Kreislauf aufzubauen, erforderte eine ziemlich gesunde Portion Selbstbewusstsein. Und wie durch einen seltsamen Zauber fühlte es sich so an, als hätte sie schon immer mit ihnen nach Glendower gesucht.
Gegen Blues häkelwollbedeckte Schulter gepresst, beugte sich Adam zwischen die beiden Vordersitze und fragte: »Gansey, kannst du nicht mal die Heizung aufdrehen?«
»Ich kann’s versuchen.«
Der Motor stotterte und stotterte und stotterte. Adam war so kalt, dass es ihn nicht gewundert hätte, wenn seine Zähne zu klappern angefangen hätten, obwohl die Temperatur doch kaum so niedrig sein konnte. Ihm war innerlich kalt. Er wies Gansey an: »Gas. Du musst mehr Gas geben.«
»Mach ich doch schon.«
Ronan legte die Hand auf Ganseys rechtes Knie und drückte sein Bein nach unten. Der Motor jaulte einmal auf und lief. Gansey dankte Ronan trocken für seine Unterstützung.
»Dein Herz«, flüsterte Blue Adam ins Ohr. »Ich fühle das Klopfen bis in deinen Arm. Bist du nervös?«
»Das liegt nur daran«, erklärte er, »dass ich nicht sicher bin, wohin es geht.«
Da sie diesmal im Camaro und nicht mit dem Helikopter unterwegs waren, dauerte es länger, bis sie die Koordinaten erreichten, die Gansey in seinem Notizbuch festgehalten hatte. Als sie schließlich ankamen und den Wagen an einer verlassenen Ferienhütte parkten, um den Rest des Wegs zu laufen, fiel ihnen auf, wie anders der Wald unter einem bedeckten Himmel wirkte. Der Rabe schimmerte nackt und tot durch das Gras, knochenweiße Muschelschalen auf Grün. Die Bäume am Waldrand schienen größer als zuvor, wie Riesen, selbst unter den hoch aufragenden Bäumen auf den Bergen ringsum. Alles lag an diesem sonnenlosen Tag im Schatten, doch der Streifen zottigen Grases am Waldrand wirkte noch dunkler.
Adams Herz fühlte sich noch immer flattrig an. Er musste sich eingestehen, dass er bis jetzt anscheinend nicht ernsthaft an
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