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Wen der Rabe ruft (German Edition)

Wen der Rabe ruft (German Edition)

Titel: Wen der Rabe ruft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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freute, denn Noah und Blue verstanden sich gut. Noah war ein hervorragender Indikator für den Charakter von Menschen. Er war so schüchtern und unbeholfen und unsichtbar, dass man ihn leicht ignorieren oder sich über ihn lustig machen konnte. Blue war nicht nur nett zu ihm, sondern schien sogar richtig gut mit ihm auszukommen. Adam, der das Gefühl hatte, dass es hauptsächlich ihm zuzuschreiben war, dass Blue sich ihnen angeschlossen hatte, war darüber insgeheim ziemlich erleichtert. Mittlerweile traf er so selten Entscheidungen ohne Gansey, Ronan oder Noah, dass er sein Urteil oft anzweifelte, wenn er mal ganz allein einen Entschluss fasste.
    Die Tage vergingen wie im Flug, während die fünf alles Mögliche unternahmen, außer zu dem seltsamen Weiher und dem Visionenbaum zurückzukehren. »Wir brauchen mehr Informationen«, sagte Gansey immer nur.
    »Ich glaube, er hat Angst«, sagte Adam zu Blue.
    Das galt jedenfalls für ihn selbst. Die erschütternde Halluzination, die er in dem Hohlraum gehabt hatte, schlich sich immer wieder in seine Gedanken. Gansey tot oder zumindest im Sterben liegend, und zwar seinetwegen. Blue, die Adam entsetzt ansah. Ronan, der neben Gansey kniete, das Gesicht verzerrt vor Trauer, und fauchte: »Bist du jetzt zufrieden, Adam? Ist es das, was du wolltest?«
    War es ein Traum? Oder eine Prophezeiung?
    »Ich weiß nicht, was es ist«, hatte Gansey zu Adam gesagt.
    Aussagen wie diese waren seit jeher ein probates Mittel, um sich Adams Respekt zu verscherzen. Die einzige Möglichkeit, der Wirkung eines solchen Geständnisses entgegenzuwirken, war, ihm unverzüglich die Worte »Aber ich werde es herausfinden« folgen zu lassen. Und Adam ließ den Leuten nicht viel Zeit, um Dinge herauszufinden, nur so viel, wie er sich selbst zugestand. Gansey allerdings hatte ihn noch nie enttäuscht. Sie würden herausfinden, was es war. Nur – diesmal war Adam nicht sicher, ob er es überhaupt wissen wollte.
    Gegen Ende der zweiten Woche hatten die Jungen sich angewöhnt, nach der Schule auf Blue zu warten und dann gemeinsam zu der Mission aufzubrechen, die Gansey sich ausgedacht hatte. Es war ein bewölkter Frühlingstag, der sich eher herbstlich anfühlte, kalt, feucht und stahlgrau.
    Während sie warteten, beschloss Ronan, Adam endlich beizubringen, wie man einen Wagen mit Gangschaltung fuhr. Ein paar Minuten lang schien das auch gut zu gehen – der BMW hatte eine sanfte Kupplung, Ronans Instruktionen waren knapp und gezielt und Adam lernte schnell, weil ihm sein Ego nicht im Weg stand.
    Gansey und Noah kauerten auf ihrem sicheren Beobachterposten neben dem Gebäude und sahen zu, wie Adam immer schnellere Runden auf dem Parkplatz drehte. Hin und wieder waren ihre anfeuernden Rufe durch die offenen Fenster des BMW zu hören.
    Dann – irgendwann musste es ja passieren – würgte Adam den Motor ab. Es war ein echtes Paradebeispiel von Abwürgen, mit jeder Menge Geröchel und todeskrampfartigen Zuckungen des Autos. Ronan auf dem Beifahrersitz begann sofort, auf Adam einzuschimpfen. Lange und leidenschaftlich, unter Nutzung jedes nur existierenden verbotenen Wortes, oft sogar zu Komposita zusammengefasst. Adam starrte reumütig in seinen Schoß und dachte, dass es fast etwas Musikalisches an sich hatte, wenn Ronan fluchte, die Worte in sorgfältiger, liebevoller Präzision aneinandergereiht wie düstere Poesie. Es klang viel weniger hasserfüllt, als wenn er nicht fluchte.
    Gerade schloss Ronan mit: »Verdammt noch mal, Parrish, pass doch auf, das ist schließlich nicht der einundsiebziger Honda Civic deiner Mutter.«
    Adam hob den Kopf und entgegnete: »Der Civic wird erst seit dreiundsiebzig gebaut.«
    Auf dem Beifahrersitz blitzte ein Paar Reißzähne auf, doch bevor Ronan ernsthaft zum Angriff übergehen konnte, hörten sie Ganseys fröhliche Stimme: »Jane! Ich dachte schon, du kommst gar nicht mehr. Ronan führt Adam gerade in die faszinierende Welt der Handschaltgetriebe ein.«
    Blue, deren Haar der Wind in jede nur erdenkliche Richtung gezaust hatte, steckte den Kopf zum Fahrerfenster herein. Sie duftete nach Wildblumen. Während Adam den Geruch im Geiste seiner Liste von Merkmalen hinzufügte, die Blue attraktiv machten, sagte sie gut gelaunt: »Scheint ja hervorragend zu laufen. Oder was riecht hier so?«
    Ohne zu antworten, stieg Ronan aus dem Wagen und knallte die Tür zu.
    Noah tauchte neben Blue auf, freudig und anhimmelnd wie ein Labrador. Noah hatte mehr oder weniger sofort

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