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Wen der Rabe ruft (German Edition)

Wen der Rabe ruft (German Edition)

Titel: Wen der Rabe ruft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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offensichtlich –, dann sah er wie die anderen zu den Bäumen ringsum auf.
    »Was hast du getan?«, fragte er sich. »Wo hast du sie bloß hingeführt?«
    »Ich bin dafür, dass wir uns auf die Suche nach Wasser machen«, sagte Blue. »Damit die Energie tun kann, was immer Gansey noch mal gesagt hat, das sie Gutes tut. Und dann, denke ich … sollten wir irgendetwas auf Latein sagen.«
    »Na, das klingt doch nach einem Plan«, stimmte Gansey zu, während er sich über die Eigentümlichkeit dieses Ortes wunderte, an dem ein solch unsinniger Vorschlag logisch erschien. »Sollen wir den Weg zurückgehen, den wir gekommen sind, oder weiter rein?«
    »Weiter rein«, sagte Noah.
    Da Noah nur selten seine Meinung äußerte, gaben seine Worte den Ausschlag. Also machten sie sich von Neuem auf den Weg, stießen immer wieder auf ihre eigene Fährte und verließen sie, stets auf der Suche nach Wasser. Während sie liefen, fielen ringsum die Blätter zu Boden, zuerst rot, dann braun, dann grau, bis die Bäume schließlich nackt dastanden. In den Schatten schimmerte Frost.
    »Winter«, sagte Adam.
    Das war unmöglich, natürlich, aber das war alles andere zuvor auch schon gewesen. Es war, dachte Gansey, wie damals, als er mit Malory durch den Lake District gefahren war. Nach einer Weile hatte er einfach zu viel unglaubliche Schönheit gesehen, um sie noch verarbeiten zu können, woraufhin sie für ihn unsichtbar geworden war.
    Es war unmöglich, dass jetzt Winter sein sollte. Aber es war auch nicht unmöglicher als alles andere, was bisher geschehen war.
    Sie waren an einer Gruppe kahler Weiden an einem sanften Hang angelangt, an dessen Fuß sich ein flacher, träge fließender Bach dahinschlängelte. Malory hatte Gansey einmal gesagt, wo Weiden stünden, gäbe es auch Wasser. Weiden verbreiteten sich, so hatte er erklärt, indem ihre Samen in bewegtes Wasser fielen und sich von ihm weitertragen ließen, um schließlich an einem anderen Ufer zu keimen.
    »Und da«, sagte Blue, »haben wir unser Wasser.«
    Gansey wandte sich zu den anderen um. Ihr Atem stand ihnen in Wölkchen vor den Gesichtern und sie alle waren viel zu dünn angezogen. Nicht einmal die Farbe ihrer Haut, viel zu sonnengetönt, schien in diese farblose Winterluft zu passen. Touristen aus einer anderen Jahreszeit. Ihm wurde bewusst, dass er zitterte, doch er konnte nicht sagen, ob es an der Kälte des gerade angebrochenen Winters oder an seiner Aufregung lag.
    »Okay«, sagte er zu Blue. »Was wolltest du denn auf Latein sagen?«
    Blue drehte sich zu Ronan um. »Kannst du nicht einfach Hallo sagen? Das wäre doch nur höflich für den Anfang.«
    Ronan machte ein gequältes Gesicht; Höflichkeit lag ihm nicht. Aber er sagte: »Salve.« Blue erklärte er: »Das heißt eigentlich so viel wie ›Gesundheit‹.«
    »Ganz toll«, erwiderte sie. »Frag, ob sie mit uns reden.«
    Ronan wirkte noch gequälter, denn diese Aktion ließ ihn lächerlich wirken, und das lag ihm noch viel weniger. Schließlich aber legte er den Kopf in den Nacken, blickte zu den Baumkronen hoch und fragte: » Loqueminine nobiscum?«
    Schweigend warteten sie ab. Ein Wispern schien sich zu erheben, als brächte eine schwache Winterbrise die Blätter an den Bäumen zum Rascheln. Nur dass die Bäume gar keine Blätter mehr trugen.
    »Nichts«, sagte Ronan. »Was will man auch erwarten?«
    »Ruhe«, befahl Gansey. Denn das Wispern war jetzt definitiv mehr als nur ein Rascheln. Jetzt klang es stark nach flüsternden, trockenen Stimmen. »Hört ihr das?«
    Alle außer Noah schüttelten die Köpfe.
    »Ich schon«, sagte Noah zu Ganseys Erleichterung.
    Gansey sagte: »Bitte sie, es noch mal zu sagen.«
    Ronan tat es.
    Das Wispern erhob sich von Neuem und nun war es ganz offensichtlich eine Stimme, ganz offensichtlich niemals das Laub gewesen. Gansey vernahm deutlich einen heiseren Satz auf Latein. Plötzlich wünschte er sich, er hätte sich im Unterricht mehr angestrengt, als er die Worte nach Gehör für Ronan wiederholte.
    »Sie sagen, dass sie schon die ganze Zeit mit dir gesprochen haben, aber du nicht zugehört hast«, übersetzte Ronan. Er rieb sich seinen rasierten Hinterkopf. »Gansey, sag mal, willst du mich verarschen? Hörst du wirklich was?«
    »Glaubst du im Ernst, Ganseys Latein ist so gut?«, schaltete sich Adam schroff ein. »Das war deine eigene Schrift an diesem Felsen, Ronan, und da stand, die sprechen Latein. Also halt die Klappe.«
    Die Bäume begannen erneut zu wispern und Gansey

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