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Wen die Götter lieben: Historischer Roman (German Edition)

Wen die Götter lieben: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Wen die Götter lieben: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Waters
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Verstand, um zu begreifen, was sie uns sagen wollen. Wir sind kein bloßer Spielball der Götter.«
    Julian nickte lächelnd.
    »Eine gute Antwort. Nur ein wohlgeordneter Geist sieht richtig. In der vergangenen Nacht träumte ich von einem großen Baum und seinen Wurzeln, in dessen Schatten ein Schössling wuchs. Der hohe Baum war halb umgestürzt, die Wurzeln aus der Erde gerissen. Als ich mich ihm näherte, um ihn zu betrachten, tippte Hermes mir auf die Schulter und sagte: Sieh her und fasse Mut; der Schössling bleibt im Erdreich; er wird erstarken, und der Baum wird eingehen.«
    Er lachte verlegen.
    »Und was soll das bedeuten?«, fragte ich.
    Er zuckte die Achseln. »Vielleicht dies: Der große Baum ist Constantius, und obgleich ich nicht darum gebeten habe, haben die Götter mir Gelegenheit gegeben, viel Schlechtes wiedergutzumachen, das Constantius verursacht hat.« Er deutete auf das Schriftstück in meiner Hand. »Das ist ein Anfang. Was das Übrige betrifft, so weiß ich nicht, wohin es führt. Doch ich fühle, dass die Götter mit mir sind. Wenn ich ausschlage, was sie anbieten, wird es keine zweite Gelegenheit geben.«

ACHTES KAPITEL

    Auf einem schnellen Schiff mit nur dreißig Ruderern setzten wir an einem Frühlingstag nach Britannien über. Der Westwind jagte die Wolken über den Himmel und ließ es schlingern und stampfen. Im Kastell Richborough ließen wir uns Pferde und eine Eskorte geben und ritten durch die taufrischen Weiden der Küstenebene nach Westen auf London zu.
    Die Straße war mir vertraut, und Erinnerungen stellten sich ein. Nach einiger Zeit gelangten wir an eine nach Süden führende Abzweigung, wo ich mein Pferd zügelte. Der Weg war von Brombeeren und Weißdorn überwachsen, an der Grasböschung blühten violette und blaue Hyazinthen. Ich zeigte zu der fernen Lindenallee. »Dahinter steht das Haus«, sagte ich zu Marcellus. »Das Land ringsum gehörte meinem Vater.«
    »Und nun wurde es an dich zurückgegeben. Die Reiter brauchen eine Pause. Wir sollten hingehen und es uns ansehen.«
    Mich überkam ein gewisses Widerstreben, das sich nicht leicht in Worte fassen ließ. Doch Marcellus hatte der Eskorte schon befohlen, weiterzureiten und im nächsten Dorf auf uns zu warten. So schüttelte ich das Gefühl ab und bog mit ihm in den ungenutzten Weg ein. Efeu und Geißblatt waren bis über den Bogen des Tores gerankt. Wir ritten hindurch und stiegen ab. Die Mauern des Hauses standen noch, aber das Dach fehlte, und im Atrium lagen die verkohlten Balken.
    In dem kleinen gekachelten Wasserbecken hatte eine Eberesche Wurzeln geschlagen. Bereits doppelt mannshoch, breitetesie besitzergreifend die Zweige aus. Wir gingen daran vorbei, als eine Windböe in den Innenhof fuhr. Ich blieb stehen und wischte mir den aufgewirbelten Ruß aus den Augen. Dabei sah ich in der Dunkelheit hinter meinen Lidern das Haus meiner Erinnerung mit den Blumentöpfen, den getünchten Wänden und Marmorböden. Ich scharrte mit dem Fuß über den Boden. Unter der Schicht Unrat kam der Marmor zum Vorschein, in roten, gelblich weißen und olivgrünen Streifen.
    »Ich hatte vermutet, dass hier jemand lebt«, sagte ich. »Der Bischof hat alles an sich gerissen, und wozu? Ein Vermächtnis meines Vaters an die Kirche, so behauptete er, obwohl jeder wusste, dass es gelogen war. Doch ich war damals noch ein Knabe, und wer würde es wagen, ihn der Lüge zu bezichtigen? Jetzt ist alles verwahrlost. Man sollte nichts besitzen, was man nicht gehörig nutzen kann. Das macht mich wütend.« Ich trat heftig gegen einen geschwärzten Dachbalken.
    »Vielleicht ist es besser so«, gab Marcellus zu bedenken und legte mir die Hand auf die Schulter. »Denn wenigstens ist kein Fremder hier, der sich in deinem Haus breitgemacht hat. Das wäre schlimmer.«
    Wir gingen weiter ins Innere. Das Feuer, das das Haus verschlungen hatte, war im Arbeitszimmer meines Vaters gelegt worden. Die einst leuchtenden Fresken waren rußgeschwärzt und rissig; der Putz war in großen Platten abgeplatzt und hatte die Ziegel bloßgelegt. In einer der hohen Nischen, wo die Bücher gelegen hatten, hing ein Schwalbennest.
    Düster und still bahnte ich mir einen Weg durch den Schutt und blieb hier und da stehen, um zu schauen. Der große Onyxtisch meines Vaters war erhalten geblieben, an dem Platz, wo er immer gestanden hatte, zwischen den hohen Fenstern. Zweifellos war er den Plünderern zu schwer gewesen. Gedankenversunken strich ich mit dem Finger über die

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