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Wen die Götter lieben: Historischer Roman (German Edition)

Wen die Götter lieben: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Wen die Götter lieben: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Waters
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rußige Platte und hinterließ einen weißen Strich. Die Schwalbe kam hereingeflattert und setzte sich empört zwitschernd auf den Sims.Ich schaute durch den Raum, in dem ich als Kind so oft gestanden hatte, um Strafe oder Tadel entgegenzunehmen. Mein Vater war mir immer wie ein Fremder erschienen, aber er war gerecht gewesen, und gemeinere Männer als er hatten ihn zugrunde gerichtet. Inzwischen hatte ich mehr Einsicht in solche Dinge. Damals hatte ich geglaubt, er hasste mich; stattdessen hatte er mich auf seine strenge Art geliebt. Solange er lebte, hatte ich das nicht erkannt.
    Ich schluckte und drehte mich um. Marcellus’ graue Augen ruhten auf mir.
    »Jahrelang habe ich von diesem Haus geträumt und geglaubt, ich hätte es für immer verloren. Dass ich eines Tages hierher zurückkehren könnte, habe ich nicht für möglich gehalten. Aber ich wünschte, ich hätte es nicht getan, denn nun werde ich in meiner Erinnerung immer diese Verwüstung vor mir sehen.«
    Nach einem letzten Blick atmete ich tief durch und ging zur Tür, wo Marcellus wartete.
    »Ich bin nun, was ich bin«, sagte ich. »Es gibt kein Zurück.« Und nach einer kurzen Gedankenpause: »Mit der Zeit wandelt sich alles zu Staub.«
    Er zog mich zu sich heran, um mich auf die Stirn zu küssen. Das tat er selten.
    »Manches ist ewig, Drusus, und ich bin noch da. Du gehörst jetzt zu mir.«
    Danach schwiegen wir, und bald wandten wir uns ab und gingen durch den schwarzen Staub nach draußen in den Hof, wo die Pferde standen und von dem hohen Gras fraßen, das zwischen den Steinplatten gewachsen war.
    Am nächsten Tag erreichten wir London. Nach dem verheerten Gallien kam es uns vor, als lebte dort jeder im Wohlstand. Während meiner Knabenjahre hatten die Sachsen Raubzüge unternommen und Furcht und Schrecken verbreitet, doch diese Gefahr war inzwischen vergessen. Die Villen und Gehöfte südlich der Themse waren wiederaufgebaut worden, und die Vororte wuchsen.
    Beim Überqueren der Brücke zeigte ich auf die Kähne, die entlang des Kais zu zweit und zu dritt aneinander vertäut waren, und fragte einen Mann unserer Eskorte, einen hübschen, schwarzhaarigen Britannier, der erst kürzlich rekrutiert worden war und sich bemühte, gefällig zu sein, wieso im Hafen so viel Betrieb herrsche, da der Frühling doch gerade erst begonnen hatte.
    »Ach, das ist noch gar nichts«, antwortete er. »Warte nur ab, bis sich das Wetter aufheitert und die Seerouten wieder befahren werden, wie viele Schiffe dann vom Rhein hierherkommen.«
    Ich lächelte still. Julian wäre erfreut zu sehen, dass sein Wunsch in Erfüllung gegangen war. Ich nahm mir vor, ihm später von den Zeichen neuen Handels und Wohlstands zu berichten, von den beladenen Wagen bei den Lagerhäusern, den aufgereihten Amphoren, Fässern und Kistenstapeln, den Lastkähnen mit den eingerollten Segeln und von den vielen geschäftigen, gut gekleideten Bürgern.
    Die Stadtmauern waren allerdings vernachlässigt worden, doch als ich dies dem jungen Britannier gegenüber erwähnte, lachte er höflich und meinte, die Römer hätten von den primitiven Sachsen nichts zu befürchten. Ich schmunzelte über seinen arglosen Mut und schwieg. Solche Worte hatte ich schon einmal gehört.
    In der Residenz des Statthalters wurden wir von Alypius, Julians Freund aus Antiochia, empfangen, der erst kürzlich in sein Amt eingesetzt worden war. Er war ein Grieche mittleren Alters mit einem klugen, von Sorgen gezeichneten Gesicht. Ihm übergaben wir Briefe aus Paris und erzählten ihm von den jüngsten Ereignissen, jedoch kurz und knapp, denn für viele Worte war nicht der rechte Augenblick. Als wir geendet hatten, runzelte er die Stirn und sagte: »Das ist zweifellos eine schwierige, unerfreuliche Angelegenheit. Doch ich bin überrascht, euch so bald hier zu sehen, denn erst vor zwei Tagen ist ein Kurier aus Paris eingetroffen, und ich dachte …«
    »Ein Kurier?«, unterbrach ich ihn. »Was für einer? Aus Paris ist niemand geschickt worden.«
    Alypius blickte mich fragend an. »Wie seltsam. Bist du dir sicher? Der Mann kam vor zwei Tagen und ist Reiter des kaiserlichen Kurierdienstes. Er wollte zu Lupicinus und behauptete, er käme aus Paris, mit einer dringenden Nachricht des Präfekten Florentius.«
    »Verzeih, aber das ist unmöglich, denn Florentius befindet sich nicht in Paris. Er ist schon den ganzen Winter fort.«
    Alypius’ Gesicht verdüsterte sich. »Nun, dann stecken wir in einer schwierigen Lage. Ich selbst habe

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