Wen küss ich und wenn ja, wie viele? - Lilias Tagebuch
Hintern.
»Alles?«, fragt Flocke und betrachtet durch die Scheibe des Backofens zweifelnd seine Muffins, die nicht richtig aufgehen wollen.
18.30 Uhr Mamas Satz geht mir nicht mehr aus dem Kopf.
Liebe. Klingt, als wär mir das eine Schuhnummer zu groß. Trotzdem. Die Balzphase liegt jetzt hinter mir. Ich und Jakob, wir sind ein Paar. Tom und Vicky ebenfalls (auch wenn das bestimmt nicht lange dauert, er wird bald merken, wie sie wirklich ist). Vielleicht sogar bald Dana und Florian. Und dann gibt’s da natürlich noch die Rosine und ihren künftigen Gatten.
Und jetzt? Wir müssen doch jetzt irgendwie alle ins nächste Stadium übergehen. Aber was kommt danach?
Das muss ich jetzt mit Tom herausfinden.
MOMENT!!! TOM? HABE ICH WIRKLICH TOM GESCHRIEBEN?
Ich meine natürlich: mit Jakob.
Betr.: Brauche Rat! Schnell!
Datum: 31.05., 19:12 Uhr
Von: Tom Barker
An: Felix von Winning
He, Alter, ich brauch dich! Sag mir, was ich tun soll! Ich hab den Überblick verloren.
Denk erst mal kurz zurück: Genau heute vor einer Woche haben wir telefoniert und du hast gesagt: Frag Lilia wegen Ball und so.
Wollte ich auch, aber dann kam’s anders. Aus Versehen habe ich in ihrem Tagebuch gelesen, dass sie Benny küssen will. Also hab ich es gelassen.
Den hat sie dann aber gar nicht geküsst. Zumindest nicht richtig, der Kuss bei der Wette zählt ja wohl nicht. Sie hat den sogar überhaupt nicht mehr beachtet. Zwei Tage später, auf ihrer Geburtstagsparty, hat sie stattdessen plötzlich Jakob geknutscht. Und einen Tag später, draußen am Teich, fast mich.
Was ist da los?
Dann ist da auch noch die Sache mit Jakob. Vor einer Woche waren wir ganz gute Kumpel. Dann schubste ich ihn bei Lilias Kusswette aus dem Weg und plötzlich waren wir Gegner. Irgendwie habe ich dabei wohl seinen Alphatier-Status verletzt.
Als ich dann mit deinem Bike an der Schule aufgekreuzt bin, wurde es noch krasser. Danach waren wir Feinde und fingenan, uns gegenseitig so richtig aufzumischen. Er baggerte Lilia an, um mich zu provozieren. Ich machte dafür zum Schein mit Vicky rum, um ihn zu treffen. Dann hab ich ihm die Klamotten geklaut und er hat mir dafür in Sport den Ball übelst in die Weichteile geschossen.
Okay, bis hierhin kann man mit ein bisschen Toleranz vielleicht noch sagen: doof, aber lustig.
Aber jetzt hört der Spaß auf. Heute nach Sport hat Jakob vor allen anderen zu mir gesagt: »Pass mal auf, du Hackfresse. Heute Abend im Wald zeig ich deiner Lilie mal, was Biene und Blume so zusammen machen. Kapiert? Und du darfst dabei zuschauen.«
Das geht gar nicht.
Soll ich Lilia warnen?
Schnell! Sag was!
Betr.: Re: Brauche Rat! Schnell!
Datum: 31.05., 19:22 Uhr
Von: Felix von Winning
An: Tom Barker
Boah, Alter, seid ihr durchgeknallt!
Würde sie dir glauben?
F.
Mittwoch, 1. Juni
Konnte gestern meine Sammlung der dümmsten Sätze der Menschheit um einen erweitern. Bisher auf Platz eins: »Die Titanic ist praktisch unsinkbar.« (Aus der Zeitschrift The Shipbuilder, 1911) Platz zwei: »Es gibt einen Weltmarkt für vielleicht fünf Computer.« (Thomas J. Watson, IBM, 1943) Platz drei: »Nuklearbetriebene Staubsauger werden in den nächsten zehn Jahren Realität sein.« (Staubsaugerfabrikant Alex Lewyt, 1955) Jetzt auf Platz eins: »Lass uns Freunde bleiben.« (Tom Barker, gestern)
7.00 Uhr Liege in meinem Bett. Bin müde und traurig.
7.05 Uhr Müde und traurig? Klingt viel zu harmlos.
Energielos, entkräftet, erledigt, fertig, kaputt, kraftlos, matt, schlaff, platt. Und dazu noch bedrückt, bekümmert, betroffen, deprimiert, desolat, down, düster, freudlos, gebrochen, melancholisch, mutlos, niedergeschlagen, schwermütig und zerrüttet.
7.10 Uhr Schon besser. Reicht aber immer noch nicht. Da fehlt noch die Tatsache, dass ich mich peinlich und bescheuert finde. Ich mag mich selbst nicht mehr. Gibt es dafür ein Wort?
7.12 Uhr Nein. In einem Wort lässt sich nicht ausdrücken, wie ich mich fühle. Auch nicht auf einer Seite. Ich muss wohl doch noch mal die Zeit zurückspulen bis gestern Abend und die ganze Geschichte von vorn erzählen. Aua, aua, aua.
7.15 Uhr Okay. Gestern Abend. Kurz vor acht.
Wenn man um diese Uhrzeit ohne Jacke oder Pulli aus dem Haus geht und immer noch warme Abendsonne auf der Haut spürt, dann fühlt man: Es ist Sommer. Wenn dann noch eine Amsel ihr Abendlied singt, wissen es auch die Ohren. Und wenn man anschließend im
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