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Wen liebst du, wenn ich tot bin?

Wen liebst du, wenn ich tot bin?

Titel: Wen liebst du, wenn ich tot bin? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arena
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Plastikbecher Tee hin, und ich fragte mich, woher er ihn hatte. Die Neonlichter blendeten mich. In meinem Kopf ging alles durcheinander, es fühlte sich an, als hätte sich eine Hummel darin verfangen. Und immer wenn sie hin und her flog, musste ich die Augen zusammenkneifen.
    Eine blasse Krankenschwester mit langen, dunklen Haaren und roten Lippen kam aus der Station, in die man Sam gebracht hatte. Dad bat mich zu warten, weil er mit ihr sprechen wollte. Ich nippte an dem viel zu süßen Tee.
    Er fing sie vor einer Tür ab. Neben der jungen Krankenschwester sah er noch älter aus.
    Sie schüttelte den Kopf, ihr dunkler Pferdeschwanz hüpfte auf dem Rücken. Dad fuhr sich übers Gesicht. Sie schüttelte wieder den Kopf und legte ihre Hand auf seinen Arm. Dad nickte langsam, dann ging sie weg.
    »Nichts Neues. Gleich wird ein Arzt kommen und mit uns sprechen«, sagte er und setzte sich wieder hin.
    Sie hatten Sam Beruhigungsmittel gegeben, damit die Krampfanfälle aufhörten. Sie waren schlimmer geworden, seitdem wir hierhergekommen waren.
    Wieder wollte Dad wissen, was zum Teufel dort draußen vorgefallen war. Und zwar von Anfang an, wie er sagte. Er packte mich bei den Schultern und sah mir in die Augen.
    »Wer war dort, Iris? War es dieser Zigeuner? War Punky dabei?«
    Ich konnte ihm keine Antwort geben. Ich musste daran denken, wie Tricks Finger über den Boden tasteten, und an das Knacken, als Sams Nase brach. Ich machte den Mund auf. An Dads Wange klebte noch Öl.
    »Iris. Dein Bruder könnte … Sam könnte …« Seine Stimme versagte. Er wandte sich ab und starrte in den unendlich langen Tunnel des Krankenhauskorridors.
    Ich wischte mir über die Augen. »Ich weiß«, sagte ich. »Ich weiß. Aber ich weiß es nicht.« Das klang so traurig, dass es sogar hätte wahr sein können.
    Dad schob mich ein Stückchen von sich weg und sah mich forschend an.
    »Du erinnerst dich nicht daran?«
    Er betrachtete die Beule an meinem Kopf.
    »Das ist nämlich nicht gut.«
    Er hielt nach einer Krankenschwester Ausschau, aber um uns herum waren nur viele andere Menschen wie wir – verwirrt und verängstigt oder zermürbt und schon an das Warten gewöhnt, geistesabwesend in Zeitschriften blätternd. Er tastete meine Schläfen ab und ich zuckte zusammen.
    »Sam wird wieder gesund«, sagte er. »Und dein Gedächtnis kehrt auch wieder zurück. Das liegt nur an der Gehirnerschütterung. Das wird schon wieder.«
    Dad ließ meine Hand los und stand auf. Er blickte nach rechts und links und suchte die Gänge nach einer Krankenschwester ab. Dann kratzte er sich am Kinn und setzte sich wieder.
    »Wir Dancys sind nicht kleinzukriegen«, sagte er. »Am allerwenigsten unsere Sturschädel.«
    Er versuchte zu lächeln. Vor meinen Augen tanzten Sterne. Sterne umschwebten alles, was ich sah. Die Wände des Warteraums waren in einem öden Blau gestrichen.
    Ich hörte wieder das Kratzen, Keuchen, Schrammen. Ich hörte Leannes schrilles Lachen. Ich sah Sams Kopf in einer Blutlache liegen. Ich wollte schlafen.
    Dad legte den Arm um mich.
    »Schlaf nicht. Komm. Sprich mit mir.«
    Er rieb meinen Arm ein wenig zu fest und ich schlug die Augen wieder auf.
    »Die Polizei wird mit dir reden wollen. Sobald dein Bruder wieder bei Bewusstsein ist. Du musst eine Aussage machen. Sag ihnen, wer es gewesen ist.«
    Ich nickte und drückte meine Augen an seiner Brust zu. Ich wollte ihm alles sagen, aber ich konnte nicht sprechen.
    Die Ärztin kam. Sie stellte sich als Dr. Kang vor und warf uns ein rasches, freundliches Lächeln zu. Sie setzte sich auf den Plastikstuhl neben Dad. Ihr Parfüm roch süßlich und an der Tasche ihrer weißen Bluse war ein dicker Tintenfleck. Sie fing ohne Umschweife an zu reden.
    »Ihr Sohn ist im Augenblick in einem stabilen Zustand. Wir haben ihm krampflösende Medikamente gegeben, damit das Zittern aufhört. In der CT-Aufnahme ist leider ein Schädelbruch zu erkennen sowie Schwellungen und Einblutungen im Gehirn. Ihr Sohn muss notoperiert werden. Wir bringen ihn gerade in den OP.«
    Sie erklärte uns, dass die Chirurgen ein kleines Loch in Sams Schädel bohren und einen Plastikschlauch einführen würden, damit die Flüssigkeit in Sams Gehirn abfließen konnte und sich der Druck verringerte. Sie würden auch die Blutgerinsel entfernen. Wir nickten, als verstünden wir das alles. Ich stellte mir genau vor, wie sie ein kleines Loch in Sams Schädel bohrten.
    Als sich Dr. Kang zum Gehen wandte, sagte Dad, dass meine

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