Wen liebst du, wenn ich tot bin?
und Windeln brauchte?
Wir nahmen ein Taxi nach Hause, um uns kurz umzuziehen, zu waschen und die Zähne zu putzen und ein paar Sachen für Sam zu holen. An der Einfahrt zu unserem Weg bat Dad den Taxifahrer anzuhalten. Er wollte die restliche Strecke zu Fuß gehen.
Der Himmel strahlte blau und weiß. In den Tannen zwitscherte und tirilierte es. In einem Garten in der Nähe jodelte jemand beim Blumengießen.
Die Bäume waren nicht entwurzelt und die Steine nicht zersplittert. Die Vögel waren nicht vom Himmel gefallen und lagen auch nicht mit toten Augen auf der Erde. Ein paar Meter von der Stelle, an der das Unglück passiert war, fanden wir allerdings das Motorrad. Der verkohlte Metallrahmen ragte aus einer Pfütze von verbranntem Gummi und geschmolzenem Aluminium. In meiner Fantasie sah ich Punky und Leanne und Dean, wie sie in den frühen Morgenstunden mit dem Motorrad hierher zurückgekehrt waren, um zu Sams Andenken ein Streichholz in den Tank zu werfen und dann aus sicherer Entfernung die Explosion zu beobachten.
Die beiden unteren Hälften der Reifen waren verkohlt und zu Asche zerbröselt, aber die oberen Hälften waren unversehrt. Sogar das Profil war noch zu erkennen. Dad angelte ein tränenförmiges Stück geschmolzenen Metalls aus dem Wrack, nahm es vorsichtig wie einen Edelstein zwischen die Finger und hielt es mir hin.
»Hilft das deiner Erinnerung auf die Sprünge?«
Er starrte mich an, ohne zu blinzeln, und ich wusste nicht, wann ich mit dem Kopfschütteln aufhören musste, um nicht verdächtig zu wirken.
Er ließ den Edelstein in seine Tasche gleiten und wir liefen schweigend zurück zum Haus.
In der Einfahrt stand Big Chapmuns Traktor. Er starrte vor Dreck und blitzte gleichzeitig im Sonnenlicht. Ich dachte daran, wie Tricks Haare vor tausend Jahren im grellen Scheinwerferlicht geleuchtet hatten, als er sich dem Traktor in den Weg gestellt hatte. Doch schon im nächsten Moment löste auch diese Erinnerung sich auf.
Dreißig
I ch putzte mir gerade die Zähne, als ich Dad rufen hörte.
»Iris? Komm mal kurz her.«
Er stand vor seinem Schlafzimmerfenster. Ich brauchte nicht erst hinauszuschauen – ich wusste auch so, welcher Anblick mich erwarten würde.
Die Koppel war verlassen.
Ein flaues Gefühl breitete sich in mir aus und meine Kehle wurde ganz eng.
Das Feuer war ausgetreten worden, jetzt war dort nur noch ein schwarz verkohlter Fleck. Verkokelte Holzstücke lagen im hohen Gras.
Von den Wohnwagen, die bis vor Kurzem noch auf unserer Wiese gestanden hatten, zeugten nur noch zwei Rechtecke aus gelbem vertrocknetem Gras. Überall auf der Koppel lag Müll – Windeln, leere Papprollen ohne Klopapier, alte Tetrapaks und zerknüllte Alufolie. Ein Haufen von Unrat. Die Wäscheleine, die am Wohnwagen befestigt gewesen war, baumelte schlaff von der Erle.
Dad ließ sich auf sein Bett sinken, die Matratze knarrte bei jeder Bewegung. Ich starrte wie versteinert aus dem Fenster, ich konnte einfach nicht wegsehen.
Der Himmel war wie aus dem Bilderbuch, flauschige weiße Wolken vor strahlendem Blau. Auf der anderen Seite des Bachs wiegten sich die Maisfelder in der sanften Brise.
Ich spürte Dads bohrenden Blick und wusste, dass er fieberhaft nachdachte. Ich ließ mich neben ihn auf die Bettkante fallen. Die Stille zwischen uns wuchs zu einem gigantischen, atmenden Ungeheuer an. Ich krallte die Finger um den Hals und zwang mich zu reden.
Ich sagte ihm die Wahrheit, erzählte ihm alles – dass ich mich nach unserem Streit mit Trick getroffen hatte, dass ich mich hinter der Böschung versteckt hatte, als er mit dem Traktor aufgetaucht war, dass Sam die Sache überhaupt erst angefangen hatte. Meine Stimme klang dünn und ich hörte sie wie aus großer Ferne, als käme sie aus einem Radio hoch über unseren Köpfen.
Als ich an dem Punkt war, wo Sam, Punky und Dean auf Trick losgegangen waren, hob Dad einen Finger und richtete ihn auf mein Gesicht.
»Wage es nicht, ihn auch noch zu verteidigen«, sagte er. Seine Stimme war seltsam ruhig und er sprach die Worte einzeln und bedächtig. Seine Gesichtsmuskeln zuckten.
»Ich will nie wieder hören, wie du diesen Verbrecher in Schutz nimmst.«
Das Versteck im Maisfeld, Trick, der Sommer, wie er bis vor Kurzem noch gewesen war – das alles entglitt mir und verwandelte sich vor meinen Augen in Leere.
Eine Million Jahre vergingen, bis Dad mich wieder ansah. Seine Augen waren kalt und hart. »Weißt du, bis vor Kurzem hätte ich niemals geglaubt,
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