Wende
hatte sich, bestens ausgebildet und kenntnisreich, lange in höchsten Kreisen bewegt. Die Wachen am Vatikan und in der Engelsburg ließen ihn ohne Befragung passieren, bedeutende Bittsteller am päpstlichen Hof suchten seine Aufmerksamkeit. Er hatte direkten Zugang zu einem absoluten Herrscher, dem reichen und gerissenen Herrn über riesige Territorien, der zugleich beanspruchte, das geistliche Oberhaupt der abendländischen Christenheit zu sein. In den Privatgemächern des Palastes wie am päpstlichen Hof selbst war der apostolische Sekretär Poggio eine vertraute Erscheinung, man sah ihn mit juwelengeschmückten Kardinälen scherzen, mit Gesandten plaudern und dabei aus Kristallgläsern oder goldenen Bechern besten Wein trinken. In Florenz war er befreundet mit den Mächtigsten aus der Signoria, dem regierenden Rat der Stadt, und er hatte einen erlesenen Freundeskreis.
Doch 1417 war Poggio weder in Rom noch in Florenz, sondern in Deutschland, und der Papst, dem er nach Konstanz gefolgt war, saß im Gefängnis. Die Gegner Johannes’ XIII. hatten gesiegt, nun verfügten sie über die Macht. Türen, die Poggio einst offengestanden hatten, fand er jetzt fest verschlossen. Und Bittsteller, die eine Gunst erlangen wollten – einen Ehedispens, eine gerichtliche Entscheidung, einen lukrativen Posten für sich oder einen Verwandten –, jene, die an seinen Herrn heranzukommen suchten und deshalb dessen Sekretär umwarben, würdigten ihn nun keines Blickes mehr. Poggios Einkünfte versiegten abrupt.
Und sie waren beträchtlich gewesen. Skriptoren erhielten keine fixen Summen, aber es war ihnen gestattet, Gebühren für die Ausfertigung von Dokumenten zu verlangen sowie für das Erwirken dessen, was »Gnadenerweis« genannt wurde, legale Gefälligkeiten in Angelegenheiten, die sachkundige Regulierung oder Ausnahmeregelungen erforderten, die der Papst mündlich oder schriftlich gewährte. Dazu kamen weniger offizielle Vergütungen, die demjenigen persönlich zuflossen, der das Ohr des Papstes hatte. Mitte des 15. Jahrhunderts lag das jährliche Einkommen eines Sekretärs zwischen zweihundertfünfzig und dreihundert Fiorini, mit einigem Geschäftssinn konnte man es auf mehr bringen. Am Ende einer zwölfjährigen Tätigkeit auf diesem Posten hatte Poggios Kollege Georg von Trapezunt über viertausend Fiorini auf den Konten römischer Banken, dazu kamen bedeutende Investitionen in Grundstücke. 4
In Briefen an seine Freunde behauptete Poggio zeitlebens, er sei weder ehrgeizig noch gierig. Schließlich war er Autor einer gefeierten Abhandlung, in der er gegen die Habsucht wetterte, sie sei die hassenswerteste unter den menschlichen Lastern, und die Gier scheinheiliger Mönche, skrupelloser Fürsten und habgieriger Kaufleute heftig geißelte. Natürlich wäre es naiv, wollte man solche Bekenntnisse für bare Münze nehmen: Es gibt ausreichend Hinweise, dass er später in seinem Leben, nachdem es ihm gelungen war, an den Hof des Papstes zurückzukehren, seine Chancen durchaus nutzte und ein stattliches Vermögen erwarb. In den 1450er Jahren besaß er einen Stadtpalast und ein Landgut für die Familie, dazu mehrere Güter, hatte insgesamt neunzehn Grundstücke und zwei Häuser in Florenz erworben, verfügte außerdem über enorme Einlagen bei Banken und anderen Geschäftshäusern. 5
Doch 1417 lag dieser Wohlstand noch in weiter Zukunft. Nach einer amtlichen, 1427 durch Steuerbeamte angefertigten Aufstellung – einem sogenannten catasto – verfügte Poggio nur über ziemlich bescheidene Mittel. Und ein Jahrzehnt früher, als Papst Johannes XXIII. seines Amtes enthoben wurde, wird er wohl noch weniger sein Eigen genannt haben. Vielleicht war sein späterer Erwerbstrieb eine Reaktion auf die Erinnerung an jene langen Monate, aus denen schließlich mehrere magere Jahre wurden, in denen er sich in einem fremden Land wiederfand, ohne sichere Stellung, ohne Einkommen und mit nur geringen Ressourcen, auf die er zurückgreifen konnte. Im Winter 1417 jedenfalls, als er durch die süddeutschen Landschaften ritt, hatte Poggio wenige oder gar keine Vorstellungen davon, woher die nächsten Fiorini wohl kommen könnten.
Umso erstaunlicher war, dass sich Poggio in dieser für ihn schwierigen Zeit nicht rasch um eine neue Stellung bemüht oder zumindest gesehen hat, dass er nach Italien zurückkam. Stattdessen begab er sich auf Bücherjagd. 6
KAPITEL ZWEI
DER MOMENT DER ENTDECKUNG
B ereits seit gut hundert Jahren waren Italiener
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