Wende
bringst nichts zustande.« 8 Einen Monat später, am 14. Juni, nahm er einen neuen Anlauf; nicht er alleine, schrieb er, sei begierig, das Gedicht zu lesen: »Wenn du mir den Lukrez schickst, tust du damit vielen Leuten einen Gefallen. Ich verspreche dir, das Buch nicht länger als einen Monat zu behalten, dann wird es zu dir zurückkommen.« 9 Doch verging ein weiteres Jahr, ohne dass sich etwas tat; der reiche Sammler hielt offenbar sein eigenes Regal für den besten Platz, und so blieb De rerum natura fürs Erste neben den antiken Kameen, den Fragmenten alter Statuen und den wertvollen Gläsern – der Text wurde, vermutlich ungelesen, zu einer Trophäe; so als sei das Gedicht
erneut beerdigt worden, diesmal nicht in einem Kloster, sondern in den Prachträumen des Humanisten.
In einem Brief vom 12. September 1426 versuchte Poggio noch immer, das Buch erneut in die Hand zu bekommen: »Schicke mir auch den Lukrez, den ich so gerne für eine kleine Weile sehen möchte. Ich werde ihn dir zurückschicken.« 10 Drei Jahre später dann war Poggios Geduldsfaden verständlicherweise ziemlich dünn geworden: »Du hast den Lukrez nun seit zwölf Jahren bei dir«, schrieb er am 13. Dezember 1429, »es scheint mir, dass eher dein Grab bereitet ist, als dieses Buch kopiert.« 11 Und im Brief, den er zwei Wochen später folgen ließ, ist die Ungeduld offensichtlich in Ärger umgeschlagen, und in einer bezeichnenden Fehlleistung seiner Feder übertreibt er die Zahl der Jahre, die er gewartet hat:
Du hast den Lukrez nun vierzehn Jahre und den Asconius Pedianus auch. ... Erscheint es dir gerecht, dass ich, wenn ich einen dieser Autoren einmal lesen will, dies wegen deiner Bummelei nicht tun kann? ... Ich möchte Lukrez lesen, doch ich bin seiner Gegenwart beraubt; willst du ihn etwa weitere zehn Jahre behalten?
Und in eher schmeichelndem Ton:
Ich bitte dich dringend, mir entweder den Lukrez oder Asconius zu schicken, die ich so rasch wie möglich kopieren lassen und dir zurückschicken werde, damit du sie behalten kannst, solange du willst. 12
Irgendwann – das genaue Datum lässt sich nicht rekonstruieren – war es dann soweit. Aus der Gefangenschaft in Niccolis Räumen befreit, machte sich De rerum natura langsam auf den Weg in die Hände von Lesern, etwa tausend Jahre nachdem das Gedicht in der Versenkung verschwunden war. 13 Von Poggios Reaktion auf das Gedicht, das er wieder in Umlauf brachte, hat sich keine Spur erhalten, auch kein Hinweis darauf, was Niccoli davon hielt; aber es gibt – in Handschriften, Kopien, kurzen Erwähnungen, Anspielungen, kleinen Zeichen des Einflusses – Hinweise darauf, dass es in aller Stille zu zirkulieren begann, zuerst in Florenz, dann darüber hinaus.
In Rom angekommen, nahm Poggio sein gewohntes Leben am Hof der Kurie wieder auf: Er tätigte häufig lukrative Geschäfte, tauschte in der »Lügenschmiede« Sottisen und zynische Geschichten mit seinen Sekretärskollegen, korrespondierte mit Humanistenfreunden über die Handschriften, auf die alle so versessen waren, stritt erbittert mit Rivalen und Gegnern. Trotz eines unsteten Lebens – der Hof blieb selten länger an einem Ort – fand er doch Zeit genug, antike Texte aus dem Griechischen ins Lateinische zu übertragen, alte Handschriften zu kopieren und Essays zu moralischen Fragen zu verfassen, philosophische Reflexionen, rhetorische Abhandlungen, Diatriben, auch Grabreden auf verstorbene Freunde – auf Niccolò Niccoli, Lorenzo de’ Medici, Kardinal Niccolò Albergati, Leonardo Bruni und Kardinal Giuliano Cesarini.
Auch Kinder zeugte er, viele Kinder, mit seiner Geliebten Lucia Pannelli: Wenn denn zeitgenössische Berichte stimmen, hatten die beiden zwölf Söhne und zwei Töchter. Es wäre unbesonnen, den Klatschgeschichten der damaligen Zeit zu vertrauen, doch Poggio selbst hat die Existenz unehelicher Kinder anerkannt. Als ihn ein Kardinal, mit dem er sich gut verstand, wegen seiner ungeordneten Lebensverhältnisse schalt, gab Poggio seine Schuld zu, fügte aber bitter hinzu: »Begegnen uns nicht jeden Tag und in allen Ländern Priester, Mönche, Äbte, Bischöfe und noch höhere Würdenträger, die Familien von Kindern mit verheirateten Frauen, Witwen und sogar von Jungfrauen haben, die sich dem Dienst Gottes geweiht haben?«
Poggio kam allmählich zu Geld – Steuerlisten zeigen, dass ihm dies seit seiner Rückkehr aus England mit wachsendem Erfolg gelang –, und damit änderte sich auch sein Leben.
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