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Wende

Wende

Titel: Wende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Greenblatt
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Weiterhin interessierte er sich brennend für die Entdeckung antiker Texte, doch die Zeit eigener Entdeckungsreisen lag hinter ihm. Stattdessen ahmte er seinen reichen Freund Niccoli nach und begann seinerseits Antiquitäten zu sammeln. »Ich habe ein Zimmer voller Marmorköpfe«, rühmte er sich 1427. Im gleichen Jahr erwarb er ein Haus in Terranuova, der kleinen Stadt in der Toskana, in der er geboren war, und den Grundbesitz dort wird er in den nächsten Jahren nach und nach vergrößern. Das zu solchen Erwerbungen notwendige Geld verschaffte er sich, so wird berichtet, vor allem, indem er ein Manuskript nach Livius kopierte und für die fürstliche Summe von 120 Goldflorin verkaufte.

    Poggios von Schuldnern verfolgter Vater hatte einst aus der Stadt fliehen müssen; sein Sohn Poggio konnte nun darüber nachdenken, dort zu gründen, was er seine »Akademie« nannte; außerdem träumte er davon, sich eines Tages dorthin zurückziehen und stilvoll leben zu können. »Ich habe eine Marmorbüste einer Frau aufgefischt, völlig unbeschädigt, die ich sehr liebe«, schrieb er ein paar Jahre später. »Gefunden wurde sie eines Tages, als die Fundamente eines Hauses ausgehoben wurden. Ich sorgte dafür, dass sie zu mir und dann in meinen kleinen Garten in Terra Nova gebracht wurde, den ich mit antiken Stücken schmücken werde.« Über eine andere Statuensammlung, die er erworben hatte, schreibt er: »Wenn sie hier eintrifft, werde ich sie in meinem kleinen Gymnasium aufstellen.« Akademie, Garten, Gymnasium: Poggio bildete, zumindest in seiner Phantasie, die Welt der antiken griechischen Philosophen nach. Und er tat alles, um sie mit einigem ästhetischen Glanz zu versehen. Der Bildhauer Donatello habe eine der Statuen gesehen und sie »in hohen Tönen gelobt«. 14
    Vollkommen gesichert war Poggios Leben gleichwohl nicht. Irgendwann 1433, er diente damals als apostolischer Sekretär unter Papst Eugen IV (dem Nachfolger von Martin V), erhob sich das Volk in Rom gewaltsam gegen den päpstlichen Hof. Seine Anhänger sich selbst überlassend, floh der Papst als Mönch verkleidet in einem kleinen Boot den Tiber hinunter in die Hafenstadt Ostia, wo ein Schiff seiner Florentiner Verbündeten auf ihn wartete. Eine aufständische Menge erkannte ihn vom Flussufer aus und bedachte das Boot mit einem Steinhagel, der Papst aber konnte entkommen. Poggio hatte weniger Glück: Auf der Flucht aus der Stadt fiel er einer der papstfeindlichen Banden in die Hände. Verhandlungen über seine Befreiung scheiterten, und er war gezwungen, das beträchtliche Lösegeld aus eigenen Mitteln aufzubringen.
    Doch irgendwann nach diesen gewaltsamen Unruhen renkten sich die Verhältnisse in seiner Welt auch wieder ein, und Poggio konnte zu seinen Büchern und Statuen, zu seinen Übersetzungen zurückkehren und den Streit unter Gelehrten wieder aufnehmen, ebenso die Vermehrung seines Reichtums. Die schrittweisen Veränderungen seines Lebens kulminierten in einer folgenreichen Entscheidung: Am 19. Januar 1436 heiratet er Vaggia di Gino Buondelmonti. Poggio war damals sechsundfünfzig Jahre alt, seine Braut achtzehn. Die Heirat wurde nicht aus Geldgründen arrangiert, es
ging vielmehr um anderes, um kulturelles Kapital. 15 Die Buondelmonti waren ein altes Florentiner Adelsgeschlecht, ein Umstand, gegen den Poggio  – der doch wortgewaltig gegen den Stolz auf adlige Abstammung angeschrieben hatte – offensichtlich nichts einzuwenden hatte. Natürlich erntete er Spott für seine Entscheidung, und gegen die Spötter wehrte er sich mit dem Dialog An seni sit uxor ducenda (Ob ein Greis heiraten soll). Vorgetragen werden die vorhersehbaren Argumente, die meisten mit einer guten Portion Mysogynie versetzt; sie finden ebenso erwartbare, oft nicht minder dubiose Erwiderungen. Es sei – so der wider die Ehe streitende Gesprächspartner, dessen Rolle niemand anderer als Niccolö Niccoli erhält – eine Dummheit, wenn ein älterer Mann seinen eingespielten Lebensstil aufgebe für ein Leben, das ihm unausweichlich fremd und riskant sei, und das gelte umso mehr, wenn ein Gelehrter heirate. Seine Braut könne sich als mürrisch, übellaunig, unbeherrscht, schlampig, faul erweisen. Sei sie Witwe, werde sie sich unausweichlich über die glücklichen Zeiten verbreiten, die sie mit ihrem verstorbenen Mann verbracht habe; eine junge Frau wiederum werde ziemlich sicher von ihrem Temperament her nicht zum gesetzten Ernst ihres alternden Mannes passen. Und wenn das Paar

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