Wendland & Adrian 01 - Schattenwölfe
Schluß ließ sie das Licht ganz hell und leuchtend werden, ein Energieschub, der den Wölfen Kraft und Mut mit auf die Wanderschaft geben sollte. Zora kam näher, fast nah genug, daß Chris sie hätte streicheln können. Chris sah, wie der Wind mit Zoras schönem Fell spielte. Die Wölfin wuffte leise, dann wandte sie sich um und trabte den Hang hinunter, auf den Wald zu. Die anderen Wölfe folgten ihr. Chris spürte ein warmes Glücksgefühl. Ihre Botschaft war angekommen. Am Waldrand blieben die Wölfe noch einmal stehen und schauten zu ihr hoch. Chris hob den Arm und winkte. Dann verschwanden sie zwischen den Bäumen.
Chris seufzte und steckte den kleinen Holzwolf in den Beutel zurück. Die Wolfskraft wich aus ihrem Körper, und sie war wieder eine ganz normale, mollige junge Frau, der von all den mysteriösen Ereignissen der Kopf schwirrte.
Sie ließ den Blick über das Land schweifen, das ihr anvertraut worden war. Das kleine Tal des Itzbachs lag noch im Ncbel. Die Wacholdersträucher auf seinen Hängen wirkirn wie ein Heer geheimnisvoller Kobolde. Drüben bei Jünkersdorf weideten braunweiße Kühe, und auf den abgemähten Feldern leuchteten große, dicke Räder aus gepreßtem Stroh in der Morgensonne. Ohne sich noch einmal umzudrehen, verließ sie den Ort ihrer Vision. Sich matt und erschöpft und angesichts der vor ihr liegenden Aufgabe ziemlich klein fühlend, folgte sie dem Pfad, der durch den Wald hinab ins Itzbachtal führte.
Susanne trieb in einem geheimnisvollen Ozean, wo ihr ein riesiges, gefährlich aussehendes bärenartiges Geschöpf begegnete, das zärtlich eine kleine gelbe Blume in seinen mächtigen Pranken hielt. Sie sah Jonas, der im Garten eines alten Forsthauses saß, zwei kleinen Kindern beim Spielen zuschaute und sich dabei versonnen seine große Nase massierte. Sie sah eine sehr mollige blonde Frau, die auf einer verlassenen Baustelle, wo frisches, üppiges Grün aus der planierten Erde sproß, eine Art Ritual ausführte. Die junge Frau hatte die Arme ausgebreitet und bat das Land um Verzeihung für die Wunden, die ihm zugefügt worden waren. Sie dankte den Pflanzen und Tieren und bat sie, den Menschen wohlgesinnt zu sein und ihnen eine gute Ernte zu schenken. Anschließend verbrannte sie getrocknete Kräuter und fächerte den Rauch in die vier Himmelsrichtungen.
Das Bild verblaßte, und Susanne spürte, wie sie leichter wurde und im Ozean nach oben stieg. Hier wurde es immer heller, und plötzlich durchstieß Susannes Gesicht die Wasseroberfläche. Nun wurde ihr klar, warum das Licht so grell war: Sie hatte die Augen geöffnet. Die nebelhaften Umrisse neben ihr verdichteten sich zu der Gestalt von Torsten Mallmann, der an ihrem Bett saß und sie besorgt anschaute.
„Susanne ...“,sagte er leise, beinahe zärtlich. Ihr Oberkörper schien nur aus Schmerzen zu bestehen. In ihrem linken Unterarm steckte eine Kanüle, von der ein Schlauch nach oben zu einer Infusionsflasche führte. Und das EKG auf dem Monitor neben dem Bett war offensichtlich ihr eigenes. „Ich... lebe also noch“, murmelte sie mühsam.
„O ja“, sagte das Mallmännchen. „Die beiden Kugeln, die dir herausoperiert wurden, haben zum Glück keine lebenswichtigen Organe verletzt. Der Arzt sagt, du kannst in sechs Wochen wieder an deinen Schreibtisch zurückkehren.“
Erleichtert merkte Susanne, daß sie ihre Zehen spürte und bewegen konnte. Beine und Füße fühlten sich warm und lebendig an. Ehe sie in die Dunkelheit versank, war ihre größte Angst gewesen, eine der Kugeln könnte das Rückgrat verletzt haben. Sie wäre lieber tot gewesen als an den Rollstuhl gefesselt. „An meinen Schreibtisch ... ich bin also nicht vom Dienst suspendiert?“
„Ach wo. Antweiler hat gesagt, du hast einen Orden verdient. Er war übrigens auch schon hier und hat nach dir geschaut.“ Mallmann schüttelte lächelnd den Kopf. „Der Chef tut immer so cool, aber als der Arzt ihm sagte, daß du die Operation gut überstanden hast und wieder ganz gesund wirst, sind ihm vor Rührung die Tränen gekommen.“
„Aber es war alles umsonst“, sagte Susanne matt. „Bestimmt hat Kettler inzwischen Schlei aus dem Weg räumen lassen...“
„Kettler ist tot.“
Susanne hob ihren Kopf, der daraufhin sehr schmerzhaft pochte, und starrte Mallmann erstaunt an.
„Und Roloff auch. Aber die Umstände ihres Todes sind
so ... sonderbar, daß ich dir davon lieber erst erzähle, wenn es dir etwas bessergeht. Jedenfalls haben die beiden
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