Weniger Arbeit mehr Gemuese mehr Sex - Roman
mit. Doch bevor ich sie weiter zu dem mysteriösen Vorfall befragen kann, sagt sie munter: »Sag mal, Sandra, wo Belmondo sowieso im Auto ist, soll ich ihn dir vielleicht kurz vorbeibringen?«
»Nee, lass mal«, antworte ich schnell. Auf schneeglatter Fahrbahn hat sie in den letzten Jahrzehnten genug Unheil angerichtet. »Ich komm vorbei und hol ihn.«
Ohne sie noch mal zu Wort kommen zu lassen, lege ich auf. Leise ziehe ich mich an, nehme Belmondos Transportkäfig und verlasse das Haus.
Draußen liegen bestimmt 30 Zentimeter Neuschnee. Alle Geräusche klingen merkwürdig gedämpft. Der Himmel ist blau, die Luft kalt und frisch. Langsam lichten sich die Wolken in meinem Kopf. Ein erfreulich schweigsamer Taxifahrer bringt mich nach Laim, wo meine Mutter schon mit einem heißen Tee auf mich wartet.
»Papa schläft noch. Hat gestern eindeutig zu viel getankt«, sagt sie mit einem tadelnden Blick auf die geschlossene Tür zu den Gemächern meines Vaters.
In ihrem Zimmer thront Belmondo auf dem Sofa wie ein ägyptischer Katzengott. Schläfrig sieht er mich an und schnurrt.
»Keine Ahnung, wie er es durch den Schnee bis hierhin geschafft hat!«, sage ich verwundert.
»… und wie er es erst geschafft hat, durch die verschlossenen Türen ins Auto zu kommen!«, fügt meine Mutter hinzu. »Gott sei Dank kann er nicht auch noch sprechen, sonst müsste ich ernsthaft vermuten, dass er Harry Potters privatem Streichelzoo entlaufen ist, bevor ihn Thomas’ Kollege in der Mülltonne gefunden hat.«
Plötzlich schießt mir Belmondos mysteriöse Bemerkung durch den Kopf. »Es wird Zeit …« Ich habe das erst meiner überbordenden Fantasie zugeschrieben und dann vergessen. Umso heftiger erröte ich jetzt, doch meine Mutter bemerkt es nicht.
»Setz dich. Wie gut, dass du hier bist«, sagt sie mit einem Gesichtsausdruck, den ich nicht ganz deuten kann. »Ich muss dir nämlich was sagen.«
Na toll. Hab ich’s doch gleich gewusst. Eine Neujahrspredigt meiner Mutter. Genau das, was ich jetzt dringend brauche. Ergeben hocke ich mich in einen ihrer altmodischen Samtsessel. Ohren zu und durch.
»Weißt du, ich habe seit gestern Abend viel nachgedacht«, sagt meine Mutter zögernd. Erstaunt blicke ich auf. Nachdenken, zögern – so was ist ja bei ihr eher selten.
»Mir ging so viel im Kopf rum, als ich Thomas und dich da draußen im Schnee gesehen habe. Ich war ganz verwirrt und konnte überhaupt nicht schlafen … Aber als ich vorhin Belmondo entdeckt habe – da war mir auf einmal völlig klar, was zu tun ist.«
Ratlos schaue ich meine Mutter an. Was redet sie da für wirres Zeug? Oder hat sie vielleicht meinen Bergkristall im Schnee gefunden und wird nun von ihm mit glasklaren Erkenntnissen überschüttet?
»Ich habe spontan beschlossen, dass ich dir noch ein Geburtstagsgeschenk machen möchte.« Mit feierlichem Gesicht kramt sie in der Tasche ihrer wollenen Strickjacke. »Hier.«
Sie öffnet die Hand. Darin liegt der Schlüssel zu ihrem alten Renault R5. »Ich hab schon immer gedacht, dass er es verdient hat, auf seine alten Tage sein Heimatland noch mal wiederzusehen.«
»Aber Mama, was meinst du denn damit?«, stammele ich verwirrt. »Du hast doch immer gesagt, dass dein Auto dein einziges Stückchen Freiheit ist …«
»Ach weißt du, meine Augen werden wirklich immer schlechter, da ist es mit der großen Freiheit auch nicht mehr so weit her. Zumindest mit der Autofahrerfreiheit«, sagt sie. »Außerdem kannst du das Auto jetzt gut gebrauchen, glaube ich. Hast du es Thomas schon gesagt?«
Ungläubig starre ich meine Mutter an. Sie lächelt. Und sieht auf einmal so aus wie eine von diesen weisen alten Wahrsagerinnen aus dem Märchen. Aber nur ein bisschen. Und auch nur ganz kurz.
»Weißt du, Kind, ich denke, du hattest recht. Man soll ein paar Träume leben, bevor die Altersgrenze für größere Mutproben erreicht ist. Für mich ist es ja schon lange zu spät«, an der Stelle seufzt sie kokett, »aber nicht für dich. Hier – ich hab dir schon mal ein paar Brote gemacht. Für die Reise«, sagt sie und drückt mir fürsorglich eine Plastiktüte voller Proviant in die Hand. »Es liegt zwar viel Schnee, aber die Autobahnen werden geräumt sein, und an Neujahr ist ja wenig Verkehr.«
Ich sehe sie an, wie sie so dasitzt. Dann springe ich auf, nehme sie ganz fest in die Arme und bedanke mich bei ihr.
Und dann bedanke ich mich bei den himmlischen Mächten. Dafür, dass sie mir eine so kluge Mutter geschenkt
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