Weniger Arbeit mehr Gemuese mehr Sex - Roman
anstatt ihn mir vorzustellen. Lohnt wohl die Mühe nicht.
Ich schaue mich nach ihm um, aber er ist nicht zu sehen. Ich werfe einen Blick in die Küche, doch auch da ist er nicht. Wahrscheinlich hat er schon das Handtuch geworfen und sich verdrückt, mutmaße ich und nehme mir geistesabwesend ein Stück Baguette.
Irgendwie ist mir schon den ganzen Tag leicht kodderig. Sicher die Aufregung vor dem Fest. Oder die Sushi, die ich heute Mittag auf einmal unbedingt haben musste. Oder die Nervosität wegen der kleinen Ansprache, die ich halten will. Über mein letztes Jahr, über mein neues Leben, über unsere Umzugspläne.
Vielleicht sollte ich mir sicherheitshalber einen großen Gin Tonic mixen. Der soll ja bei Magenverstimmungen Wunder wirken. Außerdem wird er sicherlich auch gegen das Lampenfieber helfen, das mich offenbar gerade zu erfassen droht.
Mit neuem Schwung mache ich kehrt und stöckele auf meinen extrascharfen High Heels (Silvesterparty verpflichtet!) zurück zur Bar, da sehe ich durch den Türschlitz, dass in unserer Abstellkammer Licht brennt. Ich öffne die Tür, um es auszuschalten – und weiche erschrocken zurück: Da drin steht Neeles Neuerwerbung und zieht sich gerade eine Art Fantasieuniform an! Er ist offenbar genauso erschrocken wie ich.
»Wollen Sie hier jetzt Krieg und Frieden aufführen, oder was?«, frage ich. Wahrscheinlich einen Hauch zu unfreundlich, denn der lockige Knabe guckt noch etwas verschreckter.
Doch bevor er eine wie auch immer geartete Antwort stammeln kann, höre ich Thomas rufen: »Sandra! Wo steckst du? Komm her, jetzt gibt’s ’ne kleine Ansprache!«
Oje. Thomas ist im Reden halten ungefähr so gut wie ich im Standardtanz. Aber was soll’s. Ich bin glücklich und ruhe in mir und gönne ihm die kleine Freude.
Im Wohnzimmer stehen jetzt alle im Halbkreis um Thomas herum. Mein Vater eilt geschäftig mit einer Magnumflasche Sekt umher und füllt leere Gläser nach. Thomas räuspert sich. »Liebe Familienmitglieder, liebe Freundinnen und Freunde, liebe Nachbarn! Wir freuen uns, dass ihr heute alle mit uns feiert. Aus diesem Grunde habe ich eine kleine Rede vorbereitet, die ich euch jetzt gerne vortragen würde …«
Er zieht geschätzte 250 DIN-A 4-Blätter aus seiner Jackentasche und will mit seinem Vortrag beginnen. Die meisten Gäste haben sich schon leise seufzend in ihr Schicksal ergeben, da flötet eine charmante Frauenstimme: »Wusstest du eigentlich, dass statistisch gesehen die Aufmerksamkeit der Zuhörer exponentiell zur Redenlänge schwindet?«
Neele. Ich liebe sie.
Thomas lacht. Und packt halb seufzend, halb lachend seine Blätter wieder ein. »Also gut. Ich hab schon verstanden. Sandra ist sowieso die bessere Rednerin von uns beiden. Sandra, Engel, du möchtest doch an deinem Ehrentag bestimmt was sagen, oder?«
Verlegen schaue ich mich um. Alle Blicke sind auf mich gerichtet. Es sind Blicke voller Zuneigung und Sympathie. Ich bin gerührt.
»Ihr wisst, es war kein einfaches Jahr für mich«, erkläre ich mit wackeliger Stimme. »Und dass ich es trotzdem so gut hinter mich gebracht habe, habe ich euch allen zu verdanken. Jeder von euch hat mir auf seine Weise sehr geholfen, aus dem Tief rauszukommen. Und heute geht’s mir wieder gut. Es sieht so aus, als ob ich noch mal die Kurve gekriegt hätte. Darauf möchte ich mit euch anstoßen.«
Ich hebe mein Glas und trinke es in einem Zug leer, bevor ich zum zweiten Höhepunkt meiner kurzen Ansprache komme.
»Wie einige von euch wissen, ist dieser Abend auch so etwas wie der Abschied von meinem – von unserem – alten Leben. Und zugleich der Anfang unseres neuen Lebens.«
Au weia. Ich klinge wie der Papst beim Ostersegen. Komm, Sandra, raus damit, bring’s hinter dich.
»Wir beide wollen nämlich demnächst aufs Land ziehen! Da haben wir für uns, unsere Katze und unsere Fettpflanzen das perfekte Zuhause gefunden. Das wird unser neues Nest, da werden wir bis ans Ende unserer Tage glücklich sein. Und ich hoffe sehr, dass ihr uns da alle besuchen kommt. Spätestens zu meiner nächsten Geburtstagsparty!«
»Auf Sandra! Alles Gute zum Geburtstag!«, unterbricht mich Thomas und stimmt aus voller Kehle Happy Birthday an. Sämtliche Gäste singen fröhlich mit, während ich vor Verlegenheit gar nicht weiß, wohin mit meinen Augen. Feucht vor Rührung, wandern sie von Thomas zu Renate, von Neele zu Markus, von Martina zu Dr. Schmidtbauer. Bis sie schließlich abrupt an unserer Zwergkiefer hängen bleiben. Sie
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