Weniger sind mehr
Widerständen doch noch Kinder zu bekommen, strafen diejenigen Lügen, die den Fall der Geburtenrate |145| auf Lust zur Selbstentfaltung, Bequemlichkeit und Dekadenz des modernen Menschen zurückführen wollen. Wenn es nun genau umgekehrt wäre: Wenn die Anforderungen in den verschiedenen Lebenssphären, für die die Anstrengungen zur künstlichen Zeugung beispielhaft stehen, die Geburten, die sie erleichtern sollen, letztlich verhindern? Das lässt sich mit besonderem Recht für die Anstrengungen von Geburten- und Familienpolitik schlechthin fragen. Sie kann hier und da kurzfristig Anreize zum Kinderkriegen schaffen, den säkularen Fall der Geburtenrate aber nicht aufhalten. Ihre Anstrengung ist doppelt verfehlt: als Bemühung an sich und als der Versuch einer Lebenssphäre – der Politik – einer anderen, nämlich der Familie, ihre Ziele und Mittel aufzuzwingen. Dass dies unter der Devise geschieht, die Familie zu »unterstützen«, macht die Sache nicht besser. Im Gegenteil, die somit zum Sozialfall erklärte Familie glaubt am Ende selbst daran, der Unterstützung zu bedürfen, und schwankt zwischen Larmoyanz und trotziger Forderungshaltung, statt sich auf ihre eigene Kraft zu besinnen. Da kann noch so viel vom Wert der Familie getönt werden, die Betonung selbst enthält eine Entwertung, die bevormundende und die subventionierende Attitüde des Staates enthalten eine zweite und dritte.
Selbsterhalt durch Adoption
In seltsamem Kontrast zum offiziösen Bild der Familie als eines schwächelnden Opfers stehen auch die Anstrengungen von – meist kinderlosen – Paaren, dem drohenden Absterben ihres Familienzweigs durch Adoption zuvorzukommen. Im Begehren, sich ein nicht leibliches Kind zuzuwählen, und in der Adoption selbst zeigen sich Kraft und Wille einer Familie, sich auch dann fortzusetzen, wenn eigene Kinder nicht geboren werden (können). Hingegen wird in der Not oder in dem Wunsch, ein Kind aufbeziehungsweise zur Adoption freizugeben, eine Schwäche von |146| Familie deutlich. Die unglücklichen Umstände, die dazu geführt haben, sind vielfältig: Tod, Krankheit, sozialer Ausschluss, materielles Elend – und sie lassen sich nicht allein bei der Mutter oder dem Vater festschreiben.
Im Spannungsfeld zwischen Kinder annehmenden und Kinder aufgebenden Familien sind nun, für geburtenarme Länder wie die Bundesrepublik, zwei Entwicklungen bemerkenswert. Zum einen steigt die Nachfrage nach Adoptivkindern, während das Angebot sinkt. Daraus kann, auch ohne Detailuntersuchungen, schlicht geschlossen werden: Im Verhältnis zueinander werden starke Familien mehr, schwache weniger. Kein Wunder, dass sich Paare mit Adoptionswunsch an ärmere und kinderreichere Gesellschaften wie Indien oder Bolivien wenden. Dort müssten Familien, nach den Kriterien Geburtenzahlen und Größe, stärker sein als in Europa. Das Adoptionsgeschehen legt aber den Schluss nahe, dass es genau umgekehrt ist. Die Stärke einer Familie bemisst sich eben nicht nach Größe und Zahl der Geburten, also nach Quantitäten, sondern nach Qualitäten.
Die zweite Entwicklung kann als »Annäherung der Adoption an die Geburt« beschrieben werden. Ältere Kinder gelten als schwer vermittelbar. Adoptiveltern suchen junge Kinder, möglichst im Babyalter. 21 Einerseits steigt damit das Risiko, dass das angenommene Kind (noch) unerkannte Schäden und Schwächen mit sich trägt. Andererseits steigt die Chance der Eltern, das Kind sozial zu prägen – je früher, desto besser. Die Tendenz zur Adoption der Kinder im frühesten Alter spricht also sowohl für den Mut zum Risiko als auch für den Glauben an die eigene familial-soziale Prägekraft. Sofern die adoptierten Kinder aus anderen Kulturen stammen, impliziert dies ein Vertrauen in die zusätzliche Prägekraft der familienübergreifenden eigenen Kultur.
Auch dies lässt die Annahme zu, dass adoptierende Familien, obwohl in der Regel besonders klein, ein starkes Selbstvertrauen in die eigene Erhaltungsfähigkeit haben. Ferner kann man schließen, dass Gesellschaften mit steigenden Zahlen an zugewählten |147| Kindern im Vergleich zu Gesellschaften, die Kinder abgeben, die stärkeren Familien haben.
Dabei darf allerdings nicht vergessen werden, dass Stabilisierung von Familien durch zugewählte Kinder im Vergleich zu selbst geborenen Kindern nach wie vor ein Randgeschehen ist. 22 Über den Erfolg lässt sich ohnehin wenig sagen, da der Prozentsatz gescheiterter Adoptionsfamilien zum Prozentsatz
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