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Weniger sind mehr

Titel: Weniger sind mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Otto Hondrich
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Offenbarungszwang, der Weg in die normal-heterosexuelle Ehe versperrt ist. Es ist gerade das Postulat der Liebesehe, das Homosexuellen eine heterosexuelle Ehe verbietet – bei Strafe des Täuschungs- oder Heucheleivorwurfs. Diese Vorwürfe können besonders bei bisexuellen Partnern verfehlt sein – perfiderweise führen sie jedoch in eine zermürbende Rechtfertigungsmaschinerie und lassen sich letzten Endes nicht entkräften.
    Aus der Perspektive des Familiensystems lässt sich sagen: Es wurde, durchdiesexuelleBefreiung, seinerverdeckthomosexuellen erwachsenen Mitglieder beraubt. Nun versucht es diese zu neuen Konditionen in aller Offenheit wieder einzugliedern. Die offizielle Homosexuellenfamilie ist einer der Stabilisierungsmechanismen, die das Familiensystem fortwährend erfindet, um andernfalls vom Aussterben bedrohte Familienzweige weitersprießen zu lassen. Die fortschreitende Fertilitätsmedizin und ein erweitertes Adoptionsrecht verhelfen auch Homosexuellenfamilien zu Kindern. Bei allen Bedenken, dass diese nicht in gewohnten Rollenmustern |150| aufwachsen und besonderen Spannungen ausgesetzt sind, können sie ihrerseits, erwachsen werdend, durchaus Familien nach altgewohntem Muster bilden.
    Die hier angedeuteten Entwicklungen sind erst in Ansätzen zu erkennen. Mögen sie unseren konservativen Prägungen zutiefst zuwiderlaufen: Das System der Familie, das – wie alle sozialen Systeme – mehr ist als die moralischen Empfindungen seiner Mitglieder, fragt nicht danach. In seinem robusten Drang, sich selbst zu erhalten, geht es auch über Schädigungen und Genugtuungen hinweg, die einzelne Personen oder Gruppen davontragen. Wir können vermuten, dass in sozialen Systemen eine List der kollektiven Vernunft waltet, die unserer individuellen Vernunft schwer zugänglich ist.
    Selbststabilisierung durch die Freundesfamilie
    Ellen, eine Frau von 44 Jahren, ist seit ihrer Schulzeit befreundet mit Helga. Die Freundschaft blieb erhalten, als Helga vor mehr als 20 Jahren Gerd kennen lernte und einige Zeit später heiratete. Das Ehepaar bekam zwei Töchter. Ellen und ihr Freund Ulrich nahmen Anteil. Man verbrachte viel Zeit zusammen, fuhr auch gemeinsam in den Urlaub. Oft hüteten Ellen und Ulrich die Kinder. Als diese größer wurden, erkrankte die älteste Tochter an Magersucht. Ellen, kinderlos und inzwischen von Ulrich getrennt, kümmerte sich um die Heranwachsende und entwickelte eine enge Bindung zu ihr. Die beiden verstanden sich bald besser als Mutter und Tochter. Auch nachdem sich das Mutter-Tochter-Verhältnis wieder entspannt hatte, war Ellen weiterhin eine Vertraute der Tochter, und obwohl Ellen Helga und Gerd ebenso wie die Kinder inzwischen nicht mehr so häufig trifft, bleibt sie doch »Teil der Familie«.
    In einer Gesellschaft von 20 bis 30 Millionen Familien wissen wir nicht, wie viele davon – auch – solche Freundesfamilien sind. |151| Anders als die normale Familie wohnen, essen, putzen sie nicht täglich gemeinsam. Das zusätzliche Familienmitglied wurde weder hineingeboren, noch in einem feierlichen oder gar gesetzlichen Akt hinzugewählt. Es ist der Familie vielmehr durch unzählige kleine und unbewusste, manchmal einseitige, meist gegenseitige Wahlakte zugewachsen. Es »passt« in die Familienfunktionen. Man hilft und unterstützt sich wechselseitig. Aber auch die Kernfunktion der Familie, Verständnis und vertrauensvolle gegenseitige Zuwendung, »ergibt« sich, weil sie, meist ohne viel Aufhebens, erfüllt wird.
    Es ist die Verwandtschaft zwischen Liebe und Freundschaft, die die Freundesfamilie zwanglos, als »unbemerkte Institution« zwischen den Institutionen entstehen und auch dauerhaft bestehen lässt.
    Aber Freundschaft ist nicht Liebe. Es fehlt ihr der leidenschaftliche Zug der erotischen, der geborene Charakter der Eltern-Kind-Liebe. Stattdessen hat Freundschaft eine Verlässlichkeit, die der erotischen Liebe, und eine Ebenbürtigkeit, die der Liebe zwischen den Generationen mangelt.
    Und Freundschaft ist nicht Familie. Freundschaft ist, auf den ersten Blick, weniger komplex. Anders als die Familie ist sie nicht vertikal und horizontal, sondern nur horizontal angelegt. Und sie fasst nicht Elemente der Geburt und der Wahl zusammen, sondern beruht auf Wahl allein. Im Vergleich zur Familie verkörpert Freundschaft den Wert der Gleichheit und Gleichzeitigkeit in reinerer Form, und ebenso den Wert der Freiheit. Der freiere Charakter der Freundschaft wird noch dadurch betont, dass es für

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