Wenn auch nur fuer einen Tag
nicht schwer, eins und eins zusammenzuzählen, oder?« Ich funkle ihn wütend an und auf einmal fallen mir noch tausend andere Dinge ein, die ich ihm am liebsten an den Kopf werfen möchte: dass er in meinen Augen verblödet ist, wenn er sich überhaupt mit Mädchen wie Tamara abgibt, dass ich ihn eigentlich für jemanden gehalten habe, der weniger oberflächlich ist, mit dem man Spaß haben und sich unterhalten kann, dass ich irgendwie angenommen hatte, er und ich, wir verstünden uns gut, vielleicht sogar mehr als das und … ach, überhaupt, dass ich seine gebleichten Haare total bescheuert finde. Aber ich beiße mir auf die Lippen und hole, anstatt ihm all das entgegenzuschmettern, ein paarmal tief Luft, um mich wieder zu beruhigen. Peinlich, ich habe mich aufgeführt wie eine rasende, eifersüchtige Freundin. Aber das Verrückte daran ist: Genau so fühle ich mich auch – verletzt und hintergangen.
Lukas starrt mich aus großen Augen und mit offenem Mund an. »Scheiße, nein!« Er schreit beinahe und fuchtelt wild mit seinen Armen umher, als könne er so alle Vorwürfe gegen ihn wegwedeln. »Du hast ein völlig falsches Bild von mir, jetzt hör doch zu, was ich dir sage, es ist so, dass …« Er bricht ab und fährt sich stöhnend über die Stirn. »Bitte, Jana, glaub mir einfach, okay?«
Ich stehe einfach nur da, hilflos und mit herabhängenden Armen, und schaue Lukas an. Er sieht echt verzweifelt aus. Aber ich weiß trotzdem nicht, was ich denken oder fühlen soll. Da ist zwar immer noch dieser kleine zarte Schmetterling, der mir zuwispert, ich solle Lukas glauben, aber nach wie vor auch dieses dumme mulmige Gefühl, das mir genau das Gegenteil rät, und ich kann schwer sagen, wer oder was von beiden stärker ist.
» Ragazzi , wollen Sie nun an meinem Seminar teilnehmen oder nicht? Wenn ja, dann darf ich Sie jetzt hereinbitten … Ich kann Ihnen versichern, auch bei mir wird es molto drammatico werden.« Signore Tozzi lugt aus der Tür und klopft ungeduldig mit dem Zeigefinger auf seine Armbanduhr, bevor er wieder nach drinnen verschwindet.
Lukas zieht seufzend die Augenbrauen hoch. »Was ist, meinst du, ich kann da einfach mit rein?«
Ich zucke mit den Schultern. »Ich denke schon«, sage ich, immer noch ganz erschöpft von meinem Wutausbruch. »Dann kannst du dir auch gleich einen ersten Eindruck verschaffen.«
Lukas und ich suchen uns Plätze im hinteren Bereich.
»Worum geht es in dem Kurs eigentlich?«, will Lukas wissen.
»Italienische Filmgeschichte«, flüstere ich, weil Signore Tozzi bereits vorne am Sprechpult steht und eine Einleitung zum heutigen Thema gibt. »Wir sehen uns italienische Filme im Original an und diskutieren die Woche drauf dann darüber.«
»Hm, hört sich ja ziemlich entspannt an.«
Signore Tozzi lässt die elektrischen Jalousien herunter. Kurz bevor es dunkel wird, wirft mir Lukas noch einen schnellen letzten Blick zu – und ein scheues, fast trauriges Lächeln. Beides dauert nicht länger als ein Wimpernschlag, aber lange genug, dass ich mich nicht auf den Anfang des Films La dolce vita konzentrieren kann.
Ich bin nervös, weil Lukas neben mir sitzt und weil ich weiß, dass unsere bloßen Arme nur wenige Zentimeter voneinander entfernt auf den Lehnen der Klappstühle liegen. Ich kann die Wärme spüren, die Lukas’ Haut abstrahlt, und bei der Vorstellung, dass ich mich nur ein kleines Stückchen nach links bewegen müsste, um ihn zu berühren, richten sich meine feinen Härchen auf wie elektrisiert.
Aber ich bin auch froh, dass es dunkel ist, denn so kann ich erst einmal runterkommen und über das nachdenken, was eben passiert ist. Ich bin immer noch ziemlich durcheinander. Tamara ist ein egoistisches, berechnendes Biest, so viel steht fest. Und von Noah weiß ich, dass sie ihn mehr oder weniger für ihre Zwecke ausnutzen wollte. So weit, so gut. Aber Lukas ist nun einmal mit ihr in Noahs Schlafzimmer verschwunden und er kann mir nicht erzählen, dass ihm das aus Versehen passiert ist oder er nur mit ihr Mensch ärgere dich nicht spielen wollte. Selbst ich wüsste, was ich zu erwarten hätte, wenn ich auf einer Party mit einem Typen in ein Schlafzimmer abzöge. Und ich will Lukas ja nichts unterstellen, aber ich schätze, er ist in dieser Hinsicht um einiges erfahrener als ich, also muss man wohl nur zwei und zwei zusammenzählen.
Ich zucke zusammen, als mich Lukas’ Arm plötzlich streift, und automatisch ziehe ich meinen zurück und presse ihn seltsam
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