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Wenn auch nur fuer einen Tag

Wenn auch nur fuer einen Tag

Titel: Wenn auch nur fuer einen Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Moser
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wegsehen, aber ich schaffe es nicht. Die schwarz-weißen Pflastersteine färben sich vor meinem inneren Auge rot und die Narbe an meiner rechten Schulter fängt an, wie verrückt zu pochen. Eine doppelte Narbe – die, die von der Tätowierung herrührt, und jene, die mir der Schuss verpasst hat. Die Kugel traf exakt die schwarze Rosenblüte, köpfte sie förmlich vom Stängel. Aber ein Stück der Ranke ist übrig geblieben. Alberti hatte es mir damals prophezeit: Eine einzelne Rose besitzt enorme Kraft. Sie ist nicht totzukriegen. Er hatte recht. Ihr Stängel windet sich noch immer hartnäckig mein Schulterblatt hinab und mit jedem Blick in den Spiegel erinnern mich ihre spitzen Dornen daran, was passiert ist und wer ich noch vor wenigen Monaten war.

Jana
    Als ich es endlich schaffe, in die Story einzutauchen, und mich Lukas’ Nähe nicht mehr komplett vom Film ablenkt, merke ich, wie ich zu frösteln beginne, obwohl mir eben noch so warm war. Ich schätze, ich weiß auch, woran das liegt. Es sind diese Bilder vor mir auf der Leinwand. Der Film, den Tozzi heute zeigt, spielt in Rom, der Stadt, in der Flo die letzten paar Monate seines Lebens verbracht hat. Dort, in irgendeiner dieser engen verlassenen Gassen muss es passiert sein. Dabei sieht im Film alles so romantisch aus. Ich merke, wie mich mit den Erinnerungen der Schmerz wieder überkommt, und ich weiß, dass ich nichts gegen ihn tun kann. Ich muss ihn aushalten, bis er sich wieder von selbst zurückzieht.
    Beinahe ohne es zu registrieren, rücke ich ein Stückchen näher an Lukas heran. Es tut gut, ihn neben mir zu wissen, obwohl er keine Ahnung davon hat, was gerade in mir vorgeht. Aber selbst wenn er es wüsste, er könnte mir nicht helfen. Niemand kann das. Wer weiß, vielleicht ist es auch ein Irrglaube zu denken, die Traurigkeit würde irgendwann vergehen. Ich habe einmal gehört, dass sie einen nie wirklich verlässt. Sie fällt uns irgendwann nur nicht mehr so auf, weil sie uns ständig begleitet und damit zur Selbstverständlichkeit und einem Teil von uns wird.
    Ich hatte mich so sehr darauf gefreut, in Rom mein erstes Auslandspraktikum zu machen, wieder in Flos Nähe sein zu dürfen und mir alles von ihm zeigen zu lassen. Wir schmiedeten Pläne bis kurz vor seinem Abflug.
    »Ich werde mich so bald wie möglich nach einem Praktikumsplatz für dich umhören«, versicherte mir Flo, während er die Adressetiketten an seinem Gepäck befestigte. »Oh Mann, hoffentlich geht alles gut. Irgendwie checke ich noch gar nicht, dass es jetzt wirklich losgehen soll. Sag mal ganz ehrlich, Jana, hältst du deinen Bruder für total durchgeknallt?«
    Ich lächelte. »Ja, aber das ist gut so. Ich finde es toll, dass du deinen Plan durchziehst. Und dass du jetzt, so kurz vor knapp, nervös wirst, ist doch klar. Hey, Skepsis ist gut, aber Vertrauen ist besser. War doch so, oder? Deine Worte, wenn ich mich recht erinnere.«
    »Wow, du hast mir also doch manchmal zugehört«, erwiderte Flo gespielt beeindruckt. »Aber du hast schon recht, eigentlich kann gar nicht viel schiefgehen. Vielleicht bin ich sogar schon Pressesprecher bei der deutschen Botschaft, wenn du kommst. Der Chef der Abteilung meinte, es wäre gar nicht unwahrscheinlich, dass bald eine neue Stelle geschaffen wird. Und wenn ich bis dahin gute Arbeit geleistet habe, stehe ich ganz oben auf der Liste.«
    »Mach mal langsam, Bruderherz«, bremste ich ihn. »Als freier Mitarbeiter verdienst du sicher auch genug. Und du wirst jede Menge toller Kontakte knüpfen, wart’s ab. Jetzt, wo du einen so klangvollen Namen hast … Floriano Maniera. Einfach zum Niederknien.«
    »Ja, da hast du wohl recht.« Flo ließ sich auf einen seiner gepackten Koffer fallen, streckte sich und atmete tief und befreit ein. »Es ist ein verdammt gutes Gefühl zu wissen, dass endlich etwas Neues anfängt. Es wird allerhöchste Zeit.«
    Ich betrachtete meinen Bruder, der aufgeregt wie ein kleiner Junge auf seinem Koffer saß. Ich war stolz und freute mich schrecklich für ihn, aber ein bisschen traurig war ich auch. Von dem dicken, unangenehmen Kloß, der in meiner Kehle saß, verriet ich ihm lieber nichts. Ich wollte ihm nicht die Laune verderben, aber ein Teil von mir hätte ihn am liebsten festgehalten und nicht gehen lassen. Ich wusste, dass das albern und egoistisch war. Flo hatte so viel auf sich genommen, damit er sich in den letzten Jahren um mich kümmern konnte. Jetzt war er endlich dran und das war nur fair. Außerdem würde

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