Wenn auch nur fuer einen Tag
angewinkelt an meine Brust. Ich versuche, eine andere Pose einzunehmen, aber diese dummen Klappstühle sind derart eng bemessen, dass man keinen großen Spielraum hat.
Na toll, denke ich. Jetzt sitze ich also hier, eingequetscht auf meinem Stuhl, keinen halben Meter entfernt von dem Jungen, in den ich mich von heute auf morgen verknallt habe und den ich unbedingt vergessen wollte, weil er anscheinend doch nicht der ist, für den ich ihn gehalten habe. Aber diesem Jungen liegt seltsamerweise extrem viel daran, dass ich ihm glaube und eine gute Meinung von ihm habe.
Ich lasse unser Gespräch von eben noch einmal Revue passieren, dann noch mal und dann noch mal. Jedes einzelne Wort. Und als ich zum x-ten Mal bei meinem Wutausbruch angelangt bin, fällt mir plötzlich etwas auf, das mir in meiner Rage vorhin gar nicht bewusst geworden ist, und ich kann gar nicht anders, als in die Dunkelheit hineinzulächeln.
Vielleicht mag ich mich tatsächlich dort draußen verhalten haben wie eine eifersüchtige Freundin. Aber Lukas ist prompt darauf eingestiegen und hat genauso reagiert wie ein reumütiger Freund, der alles daransetzt, seine Freundin wieder zu besänftigen, seine Unschuld zu beweisen und sich zu versöhnen. Aber warum? Was bedeutet das? Oder besser gefragt, hat es überhaupt etwas zu bedeuten?
Ich rutsche unbehaglich auf meinem Stuhl herum. Mist! Diese Stellung ist wirklich mehr als unbequem, so werde ich bestimmt keine zwei Stunden durchhalten! Vorsichtig schiele ich zu Lukas hinüber, aber in dem Licht, das vom Schwarz-Weiß-Film der Leinwand abstrahlt und in unruhigen, hell-dunklen Mustern über sein Gesicht huscht, sehe ich, dass er voll und ganz auf La dolce vita konzentriert ist.
Ich atme tief ein, dann lasse ich meinen Arm wieder mutig zur Seitenlehne zurückwandern. Lukas hat seine Pose nicht verändert, sodass sich unsere Arme zwangsläufig berühren müssen . Lukas bewegt sich auch jetzt keinen Zentimeter. Im ersten Moment verkrampfen sich alle meine Muskeln, als ich seine warme Haut an meiner spüre, und ich habe das Gefühl, es in dieser Haltung erst recht nicht bis zum Ende des Films auszuhalten, aber dann versuche ich, mir zu sagen: Es ist schließlich nur eine Berührung. Nichts Entscheidendes und auch kein Versprechen. Es ist eher … ein Zeichen der Versöhnung, eine klitzekleine Annäherung zwischen einem misstrauischen Mädchen mit einem nicht totzukriegenden Schmetterling im Bauch und einem Jungen, der sich bemüht, seinen guten Ruf wiederherzustellen. Also lasse ich meinen Arm dort liegen, wo er ist, und allmählich entspannt sich mein Körper wieder. Denn unabhängig davon, dass dies immer noch die bequemste Stellung ist, fühlt es sich auch noch wahnsinnig gut an.
Lukas
Wie gebannt verfolge ich Fellinis La dolce vita . Klar, ich weiß, es ist nur ein dummer Zufall, dass der Professor ausgerechnet heute diesen Film zeigt, wo ich ausnahmsweise an seinem Seminar teilnehme. Und ich weiß auch, dass ich seit Noahs Party in einer Tour mein bisheriges Leben hinterfrage und mir vorstelle, was wohl aus mir geworden wäre, wenn ich tatsächlich Sohn eines Lehrerehepaares und nicht der eines karrieregeilen Star-Architekten wäre.
Aber mich haut es trotzdem um, welche Parallelen das Leben des Filmprotagonisten, gespielt von Marcello Mastroianni, mit dem von Matteo Orsini aufweist. Ein auf den ersten Blick traumhaftes Leben voller Partys, schöner Frauen und Exzesse, das sich jedoch irgendwann als trügerisch und vergänglich entpuppt. La dolce vita , das süße Leben, bekommt einen bitteren Beigeschmack, nämlich den der Langeweile, des Überdrusses und der schrecklichen Erkenntnis, dass man seine Zeit nur in einer Welt aus Schein und Glamour vergeudet und dabei alle Chancen auf das Wesentliche vertan hat.
Ich starre auf die Leinwand, auf der das sommerliche Nachtleben Roms in Schwarz-Weiß an mir vorüberfliegt, mein Gehirn färbt es jedoch automatisch in die für die Jahreszeit typischen warmen Gold- und Rottöne. Die Kamera schwenkt die Via Veneto hinunter, die ich beinahe jeden Spätnachmittag hinuntergelaufen bin, von unserem Haus am Park der Villa Borghese bis zur Piazza Barberini, wo meine Bekannten und ich dann mit Cocktails den Abend eingeläutet haben.
Es tut höllisch weh, diese Bilder zu sehen, die mir vertraute Sprache zu hören, und plötzlich überkommt mich ein Scheißheimweh. Aber gleichzeitig kehren auch Erinnerungen zurück, die ich lieber für immer verdrängt hätte. Letzten
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