Wenn auch nur fuer einen Tag
Sommer war es so schlimm mit meinem Vater, dass ich fast durchgedreht wäre. Ich wollte nur noch raus aus meinem Leben, irgendetwas Neues beginnen. Aber als ich der Rosa Nera beigetreten bin, ist alles nur noch verfahrener geworden. Es war die falsche Richtung, ein weiterer Irrweg, der mich noch tiefer in den Schlamassel hineingeführt hat.
Trotz der Wärme im Raum fröstle ich. Es tut gut, Janas Nähe zu spüren, ihre weiche Haut an meinem Ellbogen. Ich habe gemerkt, dass sie mir gegenüber misstrauisch ist und mir nicht abnimmt, dass zwischen Tamara und mir nichts gelaufen ist – was mich ziemlich ankotzt. Aber leider sind ihre Zweifel ja noch nicht einmal unbegründet. Immerhin habe ich meinem inneren Drang nachgegeben und bin Tamara mit eindeutigen Absichten in Noahs Schlafzimmer gefolgt. Mit Sicherheit wäre auch etwas zwischen uns passiert, hätte sie mich nicht mit ihrem Gerede total abgetörnt. Wenigstens ein Fehler, den ich gerade noch vermieden habe.
Je länger ich hier neben Jana sitze und auf die Leinwand starre, desto mehr checke ich, was Beck mir die ganze Zeit über verklickern will. Das, was ich gerade durchmache, ist mehr als unbequem, keine Frage. Und wenn ich die Wahl gehabt hätte, ich hätte liebend gern darauf verzichtet, mir die Haare zu bleichen wie eine Tussi und einen langweiligen neuen Namen anzunehmen, mit dem niemand etwas anfangen kann.
Aber das hier ist auch eine Chance. Eine echte Chance sogar. Mein Leben als Lukas Richter ist noch vollkommen blank, wie ein leeres Blatt Papier. Ich kann es nach Lust und Laune gestalten, so, wie ich es für richtig halte. Aber – wie soll ich das anstellen? Was ist richtig? Irgendwie traue ich mir selbst nicht mehr über den Weg. Ich habe Angst davor, mich erneut in irgendetwas zu verrennen, was nur Schwierigkeiten nach sich zieht.
Allein die Tatsache, dass ich sofort versucht habe, mich dieser dämlichen Clique um Tamara anzuschließen, beweist ja, wie schnell ich mich in die Irre führen lasse, und dass ich total empfänglich bin für oberflächliche Leute wie sie. Wahrscheinlich, weil ich gar nichts anderes kenne. Ihre Welt ist mir vertraut. Alles andere jagt mir eine Scheißangst ein und ich fühle mich total orientierungslos. Kein Geld auf dem Konto zu haben, mich nicht allein durch das Erwähnen meines Nachnamens ausweisen zu können, verunsichert mich.
Aber hier neben Jana fühle ich mich wohl, auch wenn sie einer komplett anderen Welt angehört. Sie langweilt mich nicht die Spur und kehrt Seiten in mir hervor, von deren Existenz ich bisher keine Ahnung hatte. Ich habe mit ihren nervigen italienischen Zwillingen herumgealbert und hatte sogar Spaß dabei, obwohl ich Kinder eigentlich nicht besonders mag. Ich habe Jana vor Noah gewarnt, weil ich nicht wollte, dass sie enttäuscht wird. Ich hatte das Bedürfnis, sie zu trösten, als sie mir von der Trennung ihrer Eltern erzählt hat. Das alles ist komplett neu für mich.
Ich schiele zu Jana hinüber, die wie gebannt den Film verfolgt. Sie weiß nicht, dass sich ein Stück weit meine eigene Geschichte vor ihr abspielt, und ich bin froh darüber, denn ich schätze, Matteo Orsini bekäme von ihr keine Chance, sie näher kennenzulernen, und vermutlich hätte er diese Chance auch gar nicht gewollt. Aber seit meinem letzten Gespräch mit Beck weiß ich, dass es das ist, was ich im Moment am meisten will – Jana näherzukommen. Ich brauche sie. Sie muss mir dabei helfen, mein neues Leben auf die Reihe zu kriegen und mich darin zurechtzufinden, ohne die fette Kohle auf dem Konto und Beziehungen zu allen möglichen wichtigen Leuten zu haben.
Ich nehme mir vor, Jana später zu fragen, ob sie noch etwas mit mir trinken geht. Zufrieden lehne ich mich zurück und lasse mich von dem Film berieseln, da stockt mir plötzlich der Atem und ich erstarre. Dort, vor mir auf der Leinwand, biegt Marcello Mastroianni in eine schmale düstere Straße ein. Eine Gasse, die mir bestens bekannt ist. Verdammt, warum macht dieser idiotische Film nicht endlich einen Schnitt? Mein Herzschlag beschleunigt sich. Mastroianni passiert unnachgiebig die lange Häuserfront, dann den Wasserspeier in Form einer Schildkröte, läuft an dem endlosen Stück Mauer entlang und bleibt schließlich stehen. Genau an der Stelle, an der es passiert ist. Exakt hinter der Straßenlaterne. Er wendet sich der Kamera zu und ich habe das Gefühl, er sieht mir ins Gesicht. Direkt in die Augen. Vorwurfsvoll, entsetzt. Mein Puls rast. Ich will
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