Wenn aus Verlangen Schicksal wird
Bedingungen rücksichtslos, aber letzten Endes fair und vorteilhaft für alle Beteiligten gewesen.
„Hektor hat mich um elf angerufen.“
Als Selene den Namen ihres Vaters aus seinem Mund hörte, wurde ihr für einen Augenblick schwindelig. Man hätte fast meinen können, dass Sarantos von einem Freund sprach.
„Er hat mich in Grund und Boden geschrien und dann wieder aufgelegt. Und nicht mal eine Stunde später war er tot.“
Ehe sie etwas erwidern konnte, nickte Sarantos ihr knapp zu und machte auf dem Absatz kehrt.
Verblüfft sah sie ihm nach, bis er die Villa verlassen hatte.
Und das war’s? Er war einfach so vorbeigekommen, um ihr mitzuteilen, dass er ihren Vater in den Tod getrieben hatte? Aber warum?
Andererseits: Seit wann verstand überhaupt irgendjemand, was im Kopf von Aristedes Sarantos vor sich ging?
Auf einmal wurde ihr alles zu viel. Sollten ihre Brüder sich mit den Beileidsbekundungen der Gäste herumschlagen! Sie musste hier weg, und zwar sofort. Einfach weg!
Mit zitternden Knien, den Tränen nah, hastete sie aus dem Haus und zu ihrem Wagen. Vielleicht würde es ihr helfen, ein bisschen herumzufahren, die Tränen fließen zu lassen und so den Druck abzubauen, der sich in ihr aufgestaut hatte.
Als sie aus der Einfahrt auf die Straße einbog, sah sie ihn.
Es war stockdunkel, und er stand außerhalb des Lichtkegels der Straßenlaterne, trotzdem erkannte sie ihn auf Anhieb.
Aristedes Sarantos. Von der anderen Straßenseite aus beobachtete er die Villa wie ein einsamer Wächter in der Nacht.
Selene, die gerade noch mutlos und verzagt gewesen war, fühlte plötzlich Neugier und Aufregung. Ihr Herzschlag beschleunigte sich.
Warum war er noch hier?
Sie beschloss, ihn zu fragen, und wendete den Wagen. Sekunden später hielt sie vor Sarantos und ließ das Fenster hinunter.
„Sind Sie nicht mit dem Auto hier?“
Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis er seinen Blick von der Villa löste und Selene ansah. Fast unmerklich zuckte er die Achseln. „Den Wagen habe ich weggeschickt. Ich wollte zu Fuß zum Hotel zurückgehen.“
Ohne nachzudenken, entriegelte sie die Wagentüren. „Steigen Sie ein.“
Er blickte auf sie herunter. Nach einer Weile umrundete er ihr Auto, öffnete die Beifahrertür und schwang seinen muskulösen Körper mit der Anmut und Eleganz eines Leoparden auf den Sitz.
Selene fühlte sich wie elektrisiert, ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Plötzlich hatte sie das Gefühl, dass der Sauerstoff im Wagen knapp wurde. Und das nur, weil Sarantos sie mit der Schulter gestreift hatte, ehe er seinen Kopf in ihre Richtung wandte und in der Position erstarrte.
Sie wusste, dass sie ihn fragen sollte, in welchem Hotel er wohnte, dass sie losfahren musste. Aber er war ihr so nah, dass sie einfach keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte. Und das, obwohl er sie nicht einmal richtig wahrzunehmen schien. Wie würde sie sich wohl erst fühlen, wenn er …
Hör auf, du Idiotin! Du bist eine achtundzwanzigjährige Topanwältin, kein verknallter Teenager!
Er ergriff das Wort, um ihr den Namen des Hotels zu nennen. Danach verfiel er sofort wieder in Schweigen. Ein quälendes, erstickendes Schweigen, in dem eine ganze Flut widersprüchlicher Emotionen mitschwang.
Bis heute war Selene überzeugt gewesen, dass Aristedes Sarantos überhaupt keine Gefühle hatte.
Zwanzig Minuten später hielt sie vor dem Eingang eines der 5-Sterne-Hotels, in denen Sarantos für gewöhnlich lebte, wenn er nach New York kam. Der Mann, der genug Geld besaß, um sich ein kleines Land zu kaufen, schien kein Zuhause zu haben.
Er öffnete die Wagentür. Als Selene schon glaubte, dass er ohne ein weiteres Wort aussteigen würde, wandte er sich zu ihr um. Wieder stockte ihr der Atem. Seine Augen glänzten im Dämmerlicht. Sarantos blickte sie so einsam und verloren an, dass Selene ein kalter Schauer über den Rücken lief.
„Danke.“ Er sprach eine Oktave tiefer als sonst. Dann fügte er hinzu: „Wir sehen uns auf dem Schlachtfeld.“
Er wandte sich ab. Wenn er jetzt aus dem Wagen stieg, würde sie ihn nie wiedersehen – außer in der Rolle des Feindes. Doch ehe sie sich in den nächsten Kampf stürzten, musste sie noch etwas wissen.
„Geht es Ihnen gut?“, fragte sie, während sie das Bedürfnis unterdrückte, die Hand nach ihm auszustrecken, sein Gesicht zu streicheln, ihm anzubieten, ihn … was auch immer.
Er hielt inne und drehte sich mit gehobenen Brauen wieder um. „Und
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